Apple TV+: »Shrinking«

»Shrinking« (Serie, 2023). © Apple TV+

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Therapier dich doch einfach selbst!

Mit James (Jason Segel) stimmt was nicht, etwas ganz Grundlegendes. Nachts feiert er im Garten mit lauter Musik, Bier und Schmerzmitteln, ohne Rücksicht auf die Nachbarn zu nehmen. Am nächsten Morgen sitzt er stark verkatert in der Küche, seine jugendliche Tochter Alice (Lukita Maxwell) reicht ihm entnervt ein Wasserglas mit Kopfschmerztablette, es ist offensichtlich nicht das erste Mal, ebenso wenig wie seine kleinlaute Entschuldigung. »Immer derselbe Mist, Bro«, sagt sie so beiläufig, wie es nur Teenager können, um sich den Schmerz und die tiefe Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Beim Rausgehen stellt sie einen umgedrehten Bilderrahmen wieder auf, das Foto zeigt ein Familienbild aus glücklicheren Zeiten, Alice mit beiden Eltern. Jetzt sind sie nur noch zu zweit, Vater und Tochter, mit dem Verlust gehen sie offensichtlich sehr unterschiedlich um. Deutlich angeschlagen radelt James zur Praxis für Verhaltenspsychologie und entschuldigt sich, als er den Gesprächsraum betritt, bei dem wartenden Mann für sein Zuspätkommen. Er setzt sich ihm gegenüber und fragt, noch etwas atemlos, wie es ihm heute geht. Nicht sein Gegenüber ist der Therapeut, sondern James selbst, und mit diesem Twist beginnt die neue Dramedyserie »Shrinking« erst so richtig.

James, so erfährt man bald, hat vor einem Jahr seine Frau verloren. Seitdem ist er ein emotionales Wrack. Dabei betreibt er eine Gemeinschaftspraxis mit dem erfahrenen Therapeuten Paul (Harrison Ford) und der unkonventionellen jungen Kollegin Gabrielle (Jessica Williams). Durch die Sitzungen mit seinen Klient*innen schleppt er sich mit Mühe, hört kaum zu bei den ewig gleichen Jammereien. Bis er an diesem Morgen aus dem Affekt heraus beschließt, sie nicht mehr mit Samthandschuhen anzufassen, sondern Klartext zu reden. Auch wenn's wehtut. Oder gegen den Berufskodex verstößt. Wie bei Grace (Heidi Gardner), der er zuredet, endlich ihren Typen zu verlassen. Oder beim neuen Klienten Sean (Luke Tennie), einem Kriegsveteranen, der immer wieder unvermittelt in aggressive Auseinandersetzungen und Schlägereien gerät. Als er bei seinen Eltern rausfliegt, lässt ihn James vorübergehend bei sich einziehen. Und bricht damit eine der Grundregeln seines Berufs: Keine privaten Kontakte.

Das führt immer wieder zu sehr komischen Situationen mit schmissigen Dialogen und erfüllt damit die Erwartungen ans Genre, schrammt dabei auch an manchem Klischee entlang. Doch »Shrinking« will und ist mehr, scheut auch vor schmerzhaften Themen nicht zurück. Kein Wunder, stehen hinter dem Projekt mit Bill Lawrence und Brett Goldstein doch zwei prägende Personen der empathischen Fußballclub-Comedyserie »Ted Lasso«, die sogar unter eingefleischten Sportverweigerern begeisterte Anhänger gefunden hat. Vor allem Lawrences Handschrift ist deutlich spürbar, seine Gabe, auf warmherzige Art von Wahlfamilien zu erzählen, mit Mannskindern als Protagonisten und Platz für allerlei Schräges und Albernheiten. Diese Gabe beruht zugleich auf einer Lebensweisheit, die das Dasein mit all seinen Höhen und Tiefen annimmt, vom Leben und Sterben, von Liebe und Trauer, dem Altern und Neubeginnen erzählt.

Jason Segel kennt man vor allem aus der langjährigen Sitcom »How I Met Your Mother«, einem der größten Erfolge der Nullerjahre. Lange war er in Komödien auf den liebenswerten Schlaks abonniert, auch wenn er mit eigenen Drehbüchern zu Männertrip und Projekten wie der ambitionierten Mysterydramedy »Dispatches from Elsewhere« dem entgegenarbeitete. Mit James, der sein Leben wieder auf die Reihe zu bekommen versucht, als Vater, Freund und Therapeut gleichermaßen, und dabei kein Blatt vor den Mund nimmt, hat Segel endlich eine Rolle gefunden, die ihm erlaubt, mehr als nur sein Talent für komisches Timing zu zeigen. Sehenswert ist auch Harrison Ford, der hier als mit dem Alter und ungelösten Familienangelegenheiten hadernder Mann sehr souverän sein Actionhelden-Image unterwandert.

So unkonventionell (und letztlich auch wenig realistisch) »Shrinking« die Methoden und Prozesse der Psychotherapie zeigt, so symptomatisch ist die Serie für einen an sich erfreulichen Trend, mentale Probleme und das Annehmen professioneller Hilfe zu enttabuisieren. Fachbegriffe sind längst in die Alltagssprache eingegangen, ein Phänomen, das auch in der Serie reflektiert und ironisiert wird. Der Therapeut ist in Filmen und Serien längst nicht mehr bloße Nebenfigur, die den Helden auf seiner Reise zur Selbsterkenntnis begleitet, spätestens seit der israelischen Serie »In Therapie« und ihren internationalen Ablegern ist er auch als Protagonist sendefähig, mit eigenen Problemen, die nicht bloß Ticks sind. Noch mehr als bei In Therapie vermischen sich bei »Shrinking« James' Konflikte mit denen seiner Klienten. Der Fokus verlagert sich dabei weg von der eigentlichen Arbeit und deutlich mehr auf ihn und sein Umfeld. Damit verbunden ist auch der Tonfall ein anderer, leichter und weniger dramatisch.

Die Serie nimmt sich trotz der kurzen halbstündigen Folgen viel Zeit, auch den Nebenfiguren Raum für ihre Themen und Belange zu geben. Biologische und Wahlfamilien, Privates und Berufliches existieren gleichberechtigt miteinander, wandeln und verweben sich. Nicht immer zum Positiven, oft knarzt und ruckelt es und müssen Positionen und Grenzen neu ausgehandelt werden. »Shrinking« erzählt davon wohlwollend und warmherzig, ohne sentimental zu werden. Und mit der nötigen Prise ironischer Distanz, die auf vergnügliche Weise verschleiert, wie therapeutisch selbst das Zuschauen wirkt. Denn involviert ist man ohnehin schnell.

OV-Trailer

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