Amazon: »Die Gabe«

»The Power« (Serie, 2023). © Katie Yu / Prime Video

© Katie Yu / Prime Video

Per Stromschlag an die Macht

Dass Toni Collette nicht nur zu den fleißigsten, sondern auch zu den besten Schauspielerinnen unserer Zeit gehört, hat sie hinlänglich bewiesen, von den Karriereanfängen in Muriels Hochzeit bis zu jüngsten legendären Auftritten in »Hereditary«, »Knives Out« oder den fantastischen Miniserien »Unbelievable« und »The Staircase«. Trotzdem wissen selbst ihre größten Fans, dass bei der Australierin auch Vorsicht geboten ist, nicht immer ist auf ein gutes Händchen bei der Rollenauswahl Verlass. In Sachen »Die Gabe« kann allerdings direkt Entwarnung gegeben werden: Die Serie, deren erste Staffel neun Folgen umfasst, ist erfreulich gelungen.

Collette spielt Margot Cleary-Lopez, die Bürgermeisterin von Seattle. Früher als manch andere wird sie auf seltsame Phänomene aufmerksam, die nicht nur für ihre Stadt zum Problem werden könnten: Immer wieder kommt es zu Stromausfällen, Bränden und anderen Vorfällen mit Elektrizitätsbezug, in die junge Frauen verwickelt sind. Dass auch ihre eigene Tochter Jos (Auli'i Cravalho) entdeckt, dass sie mit ihrem Körper und bloßer Willenskraft dazu in der Lage ist, Stromschläge abzugeben, weiß die ehrgeizige Politikerin da noch gar nicht.

»Die Gabe«, die der Serie ihren deutschen Titel gibt, schlummert allerdings nicht nur in Highschool-Schülerinnen der US-Westküste, wie sich schnell zeigt. In London kann es die uneheliche Tochter (Ria Zmitrowicz) eines Gangsterbosses (Eddie Marsan) unverhofft mit dessen Widersachern aufnehmen, in Moldawien setzt die Präsidentengattin (Zrinka Cvitesic) ihren tyrannischen Ehemann außer Gefecht und der aufstrebende Onlinereporter Tunde (Toheeb Jimoh) ist dem Phänomen nicht nur in seiner Heimat Nigeria, sondern auch in Saudi-Arabien auf der Spur. Im Mittleren Westen realisiert unterdessen die 17-jährige Allie (großartig: Halle Bush), geleitet von einer deutlich hörbaren inneren Stimme, dass ihr sogar die Fähigkeit gegeben ist, mit den körpereigenen Elektroströmen stehengebliebene Herzen wieder schlagen zu lassen.

Dass in unserer Welt nichts mehr so sein wird, wie es einmal war, wenn jene Gruppe, die bislang die wohl vulnerabelste war, plötzlich in den Besitz praktisch unbesiegbarer Kräfte kommt, leuchtet ein. Was feministische Erkenntnisse und Botschaften angeht, ist »Die Gabe« in dieser Hinsicht nicht unbedingt subtil, und doch hat man zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, dass die Serien-Schöpferinnen, zu denen auch die Autorin der populären Romanvorlage Naomi Alderman gehört, zu ihrem Publikum predigen. Viel zu geschickt erzählen sie, sehenswert unterstützt von Collette und dem Rest des Ensembles, von den außergewöhnlichen Fähigkeiten sehr unterschiedlicher junger Frauen, von den Folgen, die sich daraus für eine patriarchal strukturierte Gesellschaft ergeben, und ganz allgemein was es bedeutet, wenn sich – der Originaltitel »The Power« ist nicht umsonst doppeldeutig – Machtverhältnisse verschieben. So geerdet, brandaktuell und trotzdem unterhaltsam kommt Science-Fiction selten daher.

OV-Trailer

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