Sky: »Interview mit einem Vampir«
»Interview mit einem Vampir« (Serie, 2022). © AMC Network Entertainment LLC
Mit Vampiren kann man alles machen. Das zeigt auch diese Serie, die zwar den Titel des Kinofilms von 1994 träg, aber die Handlungsebene zwischen dem New Orleans zu Beginn des 20. Jahrhunderts und dem Dubai von heute teilt. Während der blondblauäugige Alphavampir Lestat de Lioncourt an Tom Cruise' Auftritt erinnert, ist sein Opfer Louis de Pointe du Lac statt eines weißen Plantagenbesitzers im 18. Jahrhundert nun ein kreolischer Zuhälter. Gut vernetzt mit weißen Honoratioren, betreibt Louis in New Orleans mehrere Bordelle und beschert seiner Familie Wohlstand. Blutsaugerin Claudia ist, statt gefangen im Körper einer 10-Jährigen, auf ewig zum Äußeren einer 14-Jährigen verdammt. Und ja: was im Subtext von Anne Rice' Romanvorlage mitschwang, wird offensiv ausgemalt. Louis feiert mit den Bissen des bisexuellen Lestat sein Coming-out. Die zwei Vampire werden ein Liebespaar, das zusammen in den Sarg steigt. Jungreporter Daniel Molloy, der im Kinofilm Louis interviewte, ist nun ein abgebrühter Veteran, der Louis, nach dem ersten missglückten Interview in San Francisco in den Achtzigern, zum zweiten Mal befragen darf. Doch Louis' Erzählung ist nicht zu trauen.
Kurz: Vom Original bleibt nur das Fundament. Das wäre nicht schlimm, würde das Update eine ähnliche emotionale Zugkraft wie der von existenziellem Weltschmerz geprägte Film entfalten. Als neuer Konflikt kommt diesmal der Südstaaten-Rassismus ins Spiel. Dass Louis, der selbstbewusste (wenn auch schuldbewusste) Zuhälter, dem ruchlosen Lestat hörig wird, ist dennoch wenig glaubhaft – und auch nicht, dass der Leichenberg, den das Trio im Laufe der Zeit anhäuft, kaum Verdacht erregt. Zwar ist Lestats mit parodistisch französischem Akzent vorgetragener Sarkasmus erfrischend. Doch vielleicht ist es dem Gesetz der Serie geschuldet, dass die Folge für Folge ausgewalzte Hassliebe zwischen Louis, dem traurigen, und Lestat, dem fröhlichen Killer, oft so nervig wirkt wie das Gezänk eines langjährigen Paares. Abwechslung in den vampirischen »huis clos« bringt der Sturm und Drang von Teenie Claudia, doch auch ihr Blutdurst weicht schlechter Laune.
Die Setdesigner tun ihr Möglichstes, der meist in Innenräumen spielenden Handlung Opulenz zu verleihen. Die stylishe Inszenierung der »amour fou«, aber auch von Aderlass und Mord – als Faustregel kann gelten, dass jeder, der mit dem Trio in Berührung kommt, bluten muss –, hat einen opernhafttheatralischen Touch. Als Antidot gegen sadistische Blutorgien fungiert Reporter Molloy, der, mit der Attitüde eines rauflustigen Pop-Philosophen, Louis mit Fragen zu Rassen-Hierarchie und »white privilege« in dessen Liebe zu Lestat provoziert.
Die Mischung aus intellektuellem Diskurs, gelegentlichem Sitcom-Humor und bestialischen Schlachtplatten ist ebenso mutig wie ambitioniert, kann aber die inhärente Unlogik nicht überdecken. Und so freut man sich auf die zweite Staffel, die zum Zwecke der Ahnenforschung einen Tapetenwechsel in das von Hitler bedrohte »Old Europe« verspricht.
OV-Trailer
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