Mediathek: »Red Light«

»Red Light« (Serie, 2020). © Maarten De Bouw

© Maarten De Bouw

Sex in zwei Citys

Eine besprüht liebevoll ihre Zimmerpflanzen. Die andere belauert ihren Mann, der beim Sex lieber mit sich alleine ist. Die Dritte verbirgt den Flachmann, ehe sie den schlafenden Kindern über die Wangen streicht. Die Drei: Sylvia Steenhuyzen (Carice van Houten) führt in Antwerpen ein Bordell und einen Prostituiertenring; die Amsterdamer Sängerin Esther Vinkel (Halina Reijn) wird in der Oper gefeiert; Evi Vercruyssen (Maaike Neuville) gehört der belgischen Kriminalpolizei an.

Der Fund einer ermordeten 18-jährigen Prostituierten setzt das Karussell in Gang. Die Ermittler hegen den Verdacht, dass die tote Rumänin für Sylvia Steenhuyzen und ihren Lebensgefährten Ingmar Leka (Geert Van Rampelberg) tätig war. Zwangsweise. Das Dreieck schließt sich, als Esther Vinkels Ehemann Eric (Jacob Derwig) tot aus der Schelde gezogen wird. Er war Kunde bei Sylvia, die auch selbst als Sexarbeiterin tätig ist. Evi ermittelt.

Schicht um Schicht legt das Autorenteam Lebenslügen und Illusionen frei. Zentrales Motiv ist die physische, vor allem psychische Gewalt gegen Frauen, nicht nur im Rotlichtbereich. Darüber wird das weibliche Personal nicht idealisiert. Sylvia und Ingmar sind bestens eingespielt, wenn es darum geht, die Polizei zu belügen. Wenn die kaum volljährigen Frauen aus Osteuropa mit falschen Versprechen nach Belgien gelockt, brutal auf ihren tatsächlichen Beruf vorbereitet werden, stülpt sich Sylvia ungerührt einen Kopfhörer über und lauscht ihrem Spanischkurs. Sie träumt von einem Restaurant auf Teneriffa. Ingmar hat es ihr versprochen.

Nicht nur bezüglich Sylvias stellt sich die Frage: Wo endet das Vertrauen, wo beginnt die Gutgläubigkeit? Die Polizistin Evi bemüht sich, vom Alkohol loszukommen, und sie hadert mit ihrer Rolle als Mutter. Lieber verbringt sie ihre Stunden an der Seite des Kollegen Sam De Man (Koen De Bouw) auf Verbrecherjagd. Auch mit einer verständlichen, aber unerlaubten Wut gegenüber denjenigen, die den Tod der jungen Rumänin verschuldet haben.

Die Anleihen beim Krimigenre bringen Dynamik in die vielschichtige Erzählung. Zugleich sorgt eine durchdachte Dramaturgie für Spannung. Da werden vermeintlich unwesentliche Details bedeutsam, da füllen sich in Rückblenden manche Lücken, die man zunächst gar nicht bemerkt hatte.

»Red Light« ist nach dem von Halina Reijn mit Carice van Houten in der Hauptrolle inszenierten Kinofilm »Instinct« das zweite Projekt der von ihnen gemeinsam gegründeten Produktionsfirma »Man Up«. Ein konsequenter Schritt, denn van Houten wünscht sich, so erklärte sie im Interview mit »Hollands Diep«, Drehbücher mit »ausgebildeten Charakteren und vielschichtigem Wesen«. Obwohl spätestens seit ihrer Mitwirkung in »Operation Walküre – Das Stauffenberg-Attentat« auch in Hollywood gefragt, wählte sie vorzugsweise europäische Engagements. Zu klein, zu klischeehaft waren die Parts, die ihr in den USA angeboten wurden. Die Ausnahme: die Priesterin Melisandre in »Game of Thrones«. »Red Light« erfüllt ihre Vorstellungen – Sylvia kann rotzig und taff sein, verliebt, verlogen, verletzt, eingeschüchtert.

Van Houten und Reijn sind seit langem befreundet, standen mehrfach gemeinsam vor der Kamera, haben zu zweit das Buch »Antiglamour« verfasst. Sie lieferten die Idee zu »Red Light«, Reijn war an den Drehbüchern beteiligt. Ihre Rolle der Sängerin Esther Vinke weist eine sehr persönliche Note auf. Reijn hatte in der Vergangenheit ihre Kinderlosigkeit öffentlich thematisiert. Esther Vinke ergeht es ebenso, und es wird im Verlauf der Geschichte einige ihrer Entscheidungen bestimmen.

Auch Reijn ist eine angesehene, mehrfach preisgekrönte Schauspielerin, die schon in internationalen Produktionen zu sehen war. Die deutsche Fassung der Serie gestattet nur bedingt Rückschlüsse auf ihre Qualitäten, denn Reijns Synchronsprecherin pflegt einen unterwürfig-kläglichen Ton, der ihrem Timbre nicht entspricht. Wer des Niederländischen mächtig ist, findet in der arte-Mediathek die Originalfassung.

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