Mediathek: »Welcome to Chechnya«
Foto: ARTE France. © Public Square Films
In einem Interview mit dem kanadischen Fernsehen gibt sich Präsident Ramsan Kadyrow amüsiert. Solche Vorgänge könne es in seinem Land nicht geben, behauptet er, weil es solche Leute da nicht gebe. Zugleich lässt er aber durchscheinen, dass es den »Perversen« schon recht geschehe. Dass die Verfolgung von LGBTQ-Menschen in der russischen Teilrepublik von den Behörden mitbetrieben wird, daran besteht kein Zweifel. Wie viele bereits entführt und gefoltert wurden, weiß man nicht, auch die Zahl der Todesopfer ist unbekannt.
Regisseur David France, 2013 oscarnominiert für seinen Film »How to Survive a Plague« über den Kampf gegen Aids, rückt mit »Welcome to Chechnya« – für das Fernsehen leider sehr plump in »Achtung Lebensgefahr! LGBT in Tschetschenien« eingedeutscht – diese bislang kaum beachteten Menschenrechtsverletzungen in den Fokus. Bei der Berlinale 2020 wurde er dafür sowohl mit dem Panorama-Publikumspreis als auch mit dem Amnesty International Filmpreis ausgezeichnet.
Wie dramatisch die Situation im Land für LGBTQ-Menschen ist, das belegen erschreckende Handyvideos von Übergriffen, die immer wieder in den Film eingestreut sind. Hauptsächlich jedoch begleitet France Aktivist*innen zweier in Moskau ansässiger Hilfsorganisationen, die eine Notruf-Hotline unterhalten und die Flucht aus Tschetschenien, kurzzeitige Unterbringung in Safe Houses und dann auch die Ausreise in sichere Länder organisieren. Die Helfer und Helferinnen können auf ein internationales Netzwerk zählen, trotzdem erfordert ihre Arbeit im Land des Kadyrow-Freundes Putin und angesichts begrenzter Mittel und wenig Erfahrung mit Fluchthilfe großen Einsatz und noch größeren Mut. Der Film porträtiert zudem mehrere schwule und lesbische Hilfesuchende, von denen manche nur knapp dem Tod entronnen sind, Haft und unsägliche Grausamkeit erlebt haben, nur weil sie nicht in die vermeintliche Normalität der Gesellschaft passen. Nun hoffen sie auf ein anderes, besseres Leben. Doch wie wird man die Angst los, wenn sie sich so tief in die Seele gefressen hat?
Frances Kamera ist immer sehr nah an den Menschen, in ein paar Momenten wirkt das aufdringlich, etwa wenn sie beim Wiedersehen eines schwulen Paars – nach langer Zeit und endlich in sicherer Umgebung – in die Umarmung miteintauchen zu wollen scheint. Von beklemmender Spannung wiederum sind die Passagen, in denen man durch die versteckte Kamera Zeuge von Fluchtaktionen wird, die Angst bei den Grenzkontrollen spürt – und dann die Erleichterung, wenn endlich ein sicherer Zufluchtsort erreicht ist. Doch Sicherheit ist relativ. Der lange Arm der Verfolger reicht bisweilen bis Moskau oder weiter.
Um ihre Identität zu schützen, wurden im Film nicht nur die Namen und Stimmen der Hilfesuchenden geändert, auch visuell sind sie verfremdet. Mit digitaler »Face Double«-Technik, wie man sie sonst von »Deepfake«-Videos kennt, wurden hier erstmals in einem Dokumentarfilm die Gesichter der Betroffenen ausgetauscht. Die Mimik bleibt so trotz anderen Aussehens eins zu eins erhalten, und das ist für diesen Film, der natürlich auch von Gefühlen erzählt und dem es daher um die sichtbaren Regungen seiner Hauptfiguren geht, durchaus zentral. Dennoch ist das filmische Ergebnis zweischneidig: Bisweilen lenkt der Effekt des »uncanny valley« vom Geschehen ab, die eigentümliche Künstlichkeit der Gesichter mit ihren unscharfen Rändern irritiert den Blick. So bleibt die Methode ein Kompromiss.
»Welcome to Chechnya« ist dennoch ein wichtiger Film. Nicht nur weil er so eindringlich auf furchtbares Unrecht hinweist, sondern auch als Film über Mut und Solidarität. Wenn etwa »Grisha«, wichtigster Protagonist des Films, nach seiner Ausreise in ein sicheres Land noch einmal nach Moskau zurückzukehren wagt, um auf einer Pressekonferenz Zeugnis von den Verbrechen in Tschetschenien abzulegen: Nun, da er seine Anonymität aufgegeben hat, zeigt der Film sein echtes Gesicht – ein triumphaler Moment.
OmeU-Trailer
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