Streaming-Tipp: »The Legend of the Stardust Brothers«
Niemand, der sich »The Legend of the Stardust Brothers« ansieht, sollte so etwas wie einen »guten Film« erwarten. Es handelt sich vielmehr um ein ziemlich unverschämtes Vergnügen, das zwischen Music-Clip, Pop-Dadaismus, Laienschauspiel, Musical, Anime, Filmparodie, Slapstick (was man hier durchaus wörtlich nehmen kann) und Mediensatire oszilliert – dazwischen aber gibt es immer wieder große Momente (wie eine Zombie-Kapelle, ein Konzert in strömendem Regen, ein surreal verfremdetes Publikum in Schwarz-Weiß für sehr, sehr farbige Musik-Shows). Man kann den schönen Unfug einfach genießen; interessanter wird's freilich, wenn man ein paar der Hintergründe zu dieser Produktion kennt, die an einem gewissen Krisenpunkt in der Entwicklung des J-Pop entstand.
Damals, im Jahr 1985, nahm der Filmstudent Macoto Tezuka, eine Idee des Musikers Haruo Chicada auf, der den Soundtrack für einen nicht existierenden Film unter dem Titel »The Legend of the Stardust Brothers« zusammengestellt hatte, weil er nur mit diesem Fake-Hintergrund die unterschiedlichsten Musik-Stile miteinander komponieren konnte. Jetzt drehten die beiden diesen Film wirklich und versicherten sich dabei der Mitarbeit von Freunden aus den verschiedensten Sektoren der Pop-Kultur. Die machen ihre Sache, zwischen prächtigem Overacting und dilettantisch-autobiografischer Leidenschaft, grandios, denn sie stellen mit den Mitteln ihrer Genres und Methoden einen Kipppunkt der japanischen Pop-Kultur dar, den Punkt, wo aus der Aneignung von westlichen Elementen und ihrer Verbindung mit eigenen Traditionen in einer großen Aufbruchsstimmung ein gewaltiges, von reichlich gierigen Machern beherrschtes Business wird. J-Pop als faszinierende Höllenmaschine, in der das tragische und komische, das synthetische und das authentische, die Emotion und die Abstraktion zu Staub zermahlen werden. Zu Sternenstaub, um genau zu sein.
Der Film handelt von zwei jungen Musikern aus unterschiedlichen Lagern, vom Alles-kotzt-mich-an-Punk und Glamour-Pop, aus denen mithilfe der PR-Maschine eines ebenso mächtigen wie schurkischen Musikimperiums ein synthetisches Pop-Duo geformt wird, komplett mit einer erfundenen Lebensgeschichte von bei der Geburt getrennten Zwillingen. Das Duo steigt kometenhaft auf und erlebt dann, was die »Stardust Brothers« schon in einem Song vorwegnehmen: »Wenn man einmal einen Nummer-eins-Hit hatte, geht es nur noch bergab«. Zwischendurch gibt es Ausflüge in Horrorgefilde, Anime, viel Musik, einen Bowie-esken »Engel«, Parodien von Filmen zwischen »A Hard Day's Night« und »Phantom of the Paradise« und hemmungslose Travestie.
Diese Geschichte vom Aufstieg und Fall wird eingebettet in die Rahmenhandlung eines Comeback-Versuchs mit dramatischem Ausgang – und der ist nicht der einzige tiefe Griff in die Kiste mit der Aufschrift »Trash-Überdrehtheit«. Hinter der großen Albernheit steckt nämlich eine Portion echter Wut.
Zu beinahe jedem, der an diesem Film beteiligt war, ließe sich eine Geschichte zu den Höhen und Tiefen der japanischen Pop-Kultur erzählen: Der Regisseur ist der Sohn des Manga- und Anime-Künstlers Osamu Tezuka, der mit der Serie um »Astro Boy« 1963 den Grundstein für die Entwicklung der grafischen Erzählung in Japan legte. Shingo Kubota and Kan Takagi, die beiden »Stardust Brothers«, arbeiten in verschiedenen Bereichen der Pop-Kultur, Film, Musik, Anime und Computergame, ohne es je, wie ihre Figuren im Film, einmal ganz an die Spitze zu bringen. Kyôko Togawa, die als Fan die dritte Hauptrolle spielte und für den Kawai-Faktor zuständig war (die forcierte »Niedlichkeit«, die in der japanischen Pop-Kultur eine zentrale Rolle innehat), trat später in einer Reihe von Trashfilmen und TV-Serien auf, bis sie sich 2002 das Leben nahm. Ein Hinweis darauf, dass die zynischen Regeln des Show-Business, die in »The Legend of the Stardust Brothers« aufs Korn genommen werden, auch ganz reale Opfer kosten.
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