Streaming-Tipp: »Bosch« Staffel 6

»Bosch« (Staffel 6, 2019). © Amazon

»Bosch« (Staffel 6, 2019). © Amazon

Ein Held wie aus Vinyl

David Foster Wallace, ein Kenner amerikanischer Unterhaltungsmedien, hat in seinen epochalen Roman »Infinite Jest« ein kurzes, aber aufschlussreiches Kapitel über Fernsehkrimis eingeflochten. Darin stellt er Chief Steve​ McGarrett und Captain Frank Furillo aus den beiden TV-Serien »Hawaii Five-0« und »Hill Street Blues« gegenüber. McGarrett, ein typischer Ermittler der 70er Jahre, löst jeden Fall nach demselben Muster. Der Held, und mit ihm der Zuschauer, schleichen sich an. Dabei wird der Übeltäter ins Visier genommen. Es gibt kein Geheimnis. Weder auf der Seite der ungebrochenen Polizistenfigur, noch auf der des Verbrechens.

Frank Furillo dagegen, der eine Dekade später ermittelt, ist nach Foster Wallace kein Held der Action, sondern des Reagierens. Als Leiter eines Reviers muss er sich mit einer Unmenge an bürokratischem Kleinkram befassen. Wurden dem Verhafteten seine Rechte auch auf Spanisch vorgelesen? Die Grenze zwischen Gut und Böse ist in »Hill Street Blues« längst verschwommen. 

Doch welcher nordamerikanische Held, so fragt Foster Wallace, kann den friedfertigen Frank Furillo ablösen? Vieles spricht dafür, dass es Hieronymus »Harry« Bosch ist. Der grimmige Detective vom Los Angeles Police Department aus der 2014 gestarteten Serie, mit der Amazon Prime den Streamingmarkt auszuloten begann, verkörpert eine Synthese zwischen McGarrett und Furillo. Einerseits ist Bosch wieder ein altmodischer Actionheld, ein Kriegsveteran, der sich auch physisch durchsetzt. Mit seinen Alleingängen schlägt er über die Stränge und muss sich wegen Dienstvergehen vor Gericht verantworten. 

Bosch ist aber auch ein sensibler Menschenkenner. Nach der Ermordung seiner Frau kümmert er sich als allein erziehender Vater um seine Tochter, die über die fünf Staffeln hinweg erwachsen wurde und ihren Vater nun bei seinen Ermittlungen unterstützt. Im Gegensatz zu Kommissaren nordischer Krimis, die allerlei exotische Macken pflegen, kehrt dank Bosch eine gewisse Normalität in den Ermittlungsalltag ein. In der sechsten Staffel – nur wenige Streamingserien sind bislang so langlebig – ermittelt er mit dem Geigerzähler. Der Arzt einer Klinik, in der Krebspatienten durch Bestrahlung therapiert werden, ist erschossen worden. Radioaktives Material gelangte dabei in die Hände mutmaßlicher Terroristen. Planen sie einen atomaren Anschlag? 

Die Plots folgen einer vergleichsweise unspektakulären Dramaturgie. Der eigentümliche Reiz der Serie verbirgt sich unter der Oberfläche der Genre-Routine. Titus Welliver, als Nebendarsteller (»Lost«, »Deadwood«, »Sons of Anarchy«) lange unter dem Radar, spielt die Rolle seines Lebens. Als grantiger Ermittler alter Schule telefonierte er anfangs noch mit einem Klapphandy. Erst auf Betreiben seiner Tochter tauschte er es gegen ein Smartphone ein. Von den nuanciert gezeichneten Nebenfiguren beeindrucken Amy Aquino als Boschs direkte Vorgesetzte Lt. Grace Billets, lesbisch, deren sexuelle Orientierung aber nur angedeutet wird, sowie Deputy Chief Irving, der von Lance Reddick als viriles Monument verkörpert wird. Bosch und seine Kollegen sind gezeichnet von ihrer Polizeiarbeit, deren detailgenau beobachtete Routine auf eine altmodische Art Spannung erzeugt. 

Heimlicher Hauptdarsteller der Serie nach Bestsellern des Ex-Polizeireporters Michael Connelly ist die Stadt Los Angeles, die selten so umsichtig ins Bild gesetzt wurde. Allein schon der nächtliche Blick, den dieser melancholische, nie lachende Ermittler von seinem Haus aus über das nächtliche Lichtermeer von Los Angeles genießt, ist atemberaubend. Zu diesem Ausblick legt Bosch ab und an eine Platte von Art Pepper auf. Musik konsumiert dieser Retropolizist nicht digital. Bosch hört mit einem Marantz-Plattenspieler, einem Röhrenverstärker der britischen Hifi-Edelschmiede McIntosh sowie – Gipfel geschmäcklerischer Rarität – mit Schallwandlern Ohm Walsh, sogenannte »Omnidirektionalstrahler« aus den späten 80er Jahren. Ein Statement pur.

In »Bosch« ist nichts wirklich spektakulär oder außergewöhnlich. Es gibt keine inszenatorischen Manierismen. Im diskreten Wechselspiel zwischen Darstellern, Plot und Schauplatz trifft die Serie jedoch genau den Ton. Wie eine stilvolle alte Jazzplatte. Wie Vinyl.

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Irving ist kein Deputy. Er ist seit Jahren Chief.

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