Buch-Tipp: Marlon Brando. Der versilberte Rebell.
Marlon Brando in »Der Wilde« (1953)
Jörg Fauser (1944-1987) galt zu Lebzeiten als Kultautor, er schrieb in zahlreichen Zeitungen und Publikationen, hatte viele Fans, aber keine größere Leserschaft. Führende Kritiker wie Marcel Reich-Ranicki konnten mit seinen Texten nichts anfangen; Reich-Ranicki nannte die Geschichte, die Fauser beim Bachmann-Wettbewerb 1984 vorlas, reine Unterhaltungsware, also fehl am Platz in diesem seriösen Wettbewerb.
Fauser war heroinabhängig, später Alkoholiker, ein Außenseiter wie Joseph Roth, den er sehr liebte. Fauser starb unter nicht geklärten Umständen an seinem 43. Geburtstag bei einem nächtlichen Spaziergang auf der Autobahn. Ein Unfall?
Sein umfangreiches Werk, Romane wie »Rohstoff« oder »Das Schlangenmaul«, Erzählungen, Gedichte und Kolumnen, wanderte von Verlag zu Verlag, blieb aber dennoch oder gerade deswegen ziemlich unbekannt. Eine erste Werkausgabe erschien 1990 bis 1994 bei Rogner und Bernhard, eine zweite 2004 bis 2007 im Alexander Verlag. Seit 2019 bringt Diogenes in Zürich Fausers Gesamtwerk neu heraus. Das macht Hoffnung, dass der Außenseiter endlich die Aufmerksamkeit findet, die er verdient. Herausragend in der Neuedition ist Fausers Marlon-Brando-Biografie mit dem Untertitel »Der versilberte Rebell«.
»Ein Buch für Kinogänger, die keine Idole mehr brauchen, sondern einen Hauch von Leidenschaft, von Tapferkeit und Größe. Und manchmal auch den Glanz von Silber«: So stellt Fauser im Vorwort der Biografie den Schauspieler vor. Brando, am 3. April 1924 geboren, kam mit 19 Jahren nach New York. Er nannte sich selbst einen sexbesessenen Fresssack. Zum Glück traf er bald auf Elia Kazan, der sein geistiger Ziehvater wurde, Vater- und Mutterersatz. Unter seiner Regie drehte Brando 1951 »Endstation Sehnsucht« und 1952 »Viva Zapata«. Eine große Filmlaufbahn hatte begonnen, legendär, aber nicht frei von Misserfolgen.
Fausers Brando-Buch ist weit mehr als die Biografie eines Filmstars. Fauser rekapituliert anhand der Karriere Brandos nicht nur die Geschichte Hollywoods bis 1978, dem Jahr, in dem das Buch erschien. Er erzählt auch die Geschichte der USA in diesen Jahren. Und wenn man das Buch heute liest, kommt einem vieles sehr, sehr bekannt vor.
Da ist etwa der allgegenwärtige Rassismus. Brando setzte sich vor allem für die Indianer ein, die nicht weniger unterdrückt wurden als die Schwarzen. »Niemand will etwas über die Unterernährung bei den Indianern wissen. Niemand will wissen, dass die Indianer die höchste Selbstmordrate aller ethnischen Gruppen in den Vereinigten Staaten haben. Das langweilt die Leute.« Für solche Aussagen ist Brando immer wieder angegiftet worden.
Es gibt in Fausers Brando-Biografie aber auch komische und kuriose Ereignisse, von denen er mit Lust erzählt. Als Brando, gerade 31 Jahre alt, für »Die Faust im Nacken« seinen ersten Oscar bekam, begann er seine Dankesrede mit dem Satz: »Ich danke Ihnen sehr … äh, das Ding ist viel schwerer, als ich dachte.«
Um das Bild Brandos von verschiedenen Seiten zu beleuchten, bat Fauser Schriftsteller-Kollegen um Texte über den Star. Besonders eindrucksvoll Brigitte Kronauer, für sie ist Fausers Biografie »ein Roman, ein unfeierliches Epos, eine Legende von eigener Hand«. Sie sieht mit Elia Kazan Brandos Ambivalenz: Seine Ausstrahlung »ist immer gut und böse gleichzeitig, zärtlich und grausam bis ins Extrem, sie ist sogar ›weiblich‹ und ›männlich‹!« Kronauer, Büchnerpreis-Trägerin des Jahres 2005, starb 2019 im Alter von 71 Jahren; der Brando-Text war eine ihrer letzten Arbeiten.
Dass Fausers Brando-Buch so sehr überzeugt, verdankt es auch der besonderen Sorgfalt des Verlags. Kernstück ist die komplette Filmografie Brandos von 1950 bis 2001, wobei immer alle wichtigen Mitarbeiter genannt sind. Personenregister und Textnachweise verstehen sich von selbst.
Jörg Fauser: Marlon Brando. Der versilberte Rebell. Eine Biographie. Diogenes Verlag, Zürich 2020. 288 S., 24 €.
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