Film des Monats Juli »Los versos del olvido – Im Labyrinth der Erinnerung«
Schaufel um Schaufel fliegt die Erde aus dem Loch. Am offenen Grab auf einem alten Friedhof irgendwo in Südamerika. Ein greiser Friedhofsverwalter geht hier gemeinsam mit einem Totengräber seiner gemächlichen Arbeit nach. Diese scheint genauso anachronistisch zu sein wie das labyrinthische Archiv, wo die Unterlagen über die Verstorbenen lagern, wie die von Hand ausgehobenen Gräber und das Gemüsebeet auf dem Friedhof. Würdevoll erzählt der Totengräber dem Verwalter, was er über den jeweils zu Bestattenden in Erfahrung gebracht hat: eine letzte Erinnerung gegen das Vergessen. Der Friedhofsverwalter nimmt die posthumen Angelegenheiten todernst. Auch wenn er selbst keinen einzigen Namen mehr weiß – nicht einmal seinen eigenen. Als Regime-Schergen eines Tages seine Leichenhalle in Beschlag nehmen, um dort hausgemachte Probleme zwischenzulagern, und dann eine Leiche zu viel zurückbleibt, sieht sich der eigentlich schon Pensionierte genötigt, eine letzte anständige Bestattung zu organisieren.
Der im Iran geborene Regisseur Alireza Khatami erzählt in seinem Film über eine Kultur des Vergessens und Verschweigens und über sanften Widerstand dagegen. Seine Geschichte trifft eine empfindliche Stelle vieler totalitärer Regime: ihre korrupte Erinnerungskultur. Sie lassen Unliebsames gerne verschwinden und versuchen, sich schlechter Erinnerungen zu entledigen. Zwar wurde der Film in Südamerika gedreht, doch sein Thema ist auf viele Länder und Kulturen übertragbar. In surrealen Bildern und mit märchenhaften Zügen inszeniert Khatami den Friedhof und sein Personal als einen Mikrokosmos der Gelassenheit inmitten eines autoritären Regimes. »Im Labyrinth der Erinnerung« ist ein kritisches Sterbegedenken für eine Gesellschaft, die nicht mehr weiß, was sie vergessen hat. Und auch ein Denkzettel, dass in der Bewahrung von Erinnerungen Würde liegt. Selbst dann, wenn es keine schönen sind.
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