Nahaufnahme von Steven Yeun
Stephen Yeun in »Sorry to Brother You« (2018)
Als kämpferischer, aber immer netter Pizzabote gewann Steven Yeun in »The Walking Dead« viele Fans. Aber ist das jetzt gelungene Diversitätspolitik oder Klischee? Sein neuer Film Burning führt den koreanisch-amerikanischen Schauspieler zurück nach Seoul. Hier kann er andere Facetten entfalten
Kennys Arbeit ist so unerlässlich wie die des Molekularbiologen Ian und seiner unbeirrbaren Assistentin Karen. Dennoch blendet Mike Cahill in »I Origins« (2014) ihn und seinen Beitrag zu Ians Forschungen weitgehend aus. Die Szenen, in denen Kenny auftritt, lassen sich fast an einer Hand abzählen und deuten seine Geschichte nicht einmal an. So bleibt es bei Oberflächlichkeiten und dem Offensichtlichen. Kenny ist ein Asian-American und, ganz wie zu erwarten, ein Nerd, einer, der nach einer durchzechten Nacht am nächsten Morgen noch ein geniales Computerprogramm schreibt, aber dann nur auf seinen Wodka-Atem angesprochen wird. Mehr Klischee ist kaum denkbar, und das in einem Film, der ansonsten ganz eigene Wege geht und seine Fragen nach Wissenschaft und Spiritualität, Evolution und Schicksal auf eine immer wieder überraschend komplexe Weise stellt.
Kenny ist eben nur eine Nebenfigur und eine der ersten Kinorollen von Steven Yeun. Das erklärt scheinbar alles. Wer beginnt seine Filmkarriere schon mit einer großen Hauptrolle? Und welcher Film kommt ganz ohne skizzenhaft gezeichnete Figuren aus? Nur war Yeun, der zum ursprünglichen Cast der AMC-Serie »The Walking Dead« (2010–) gehörte, längst kein Unbekannter mehr, als ihn Mike Cahill für sein Drama um einen atheistischen Wissenschaftler engagierte. In der Rolle des früheren Pizzalieferanten Glenn Rhee, der unter die Zombies fällt, hat er Fernsehgeschichte geschrieben. Der optimistische junge Mann, der trotz der apokalyptischen Verhältnisse nie ganz seine Hoffnung auf einen Neubeginn der Menschheit verliert, war bis zu seinem Tod in der siebten Staffel das emotionale Zentrum der von Frank Darabont und Angela Kang konzipierten, auf Robert Kirkmans düsteren Comics basierenden Serie. Im Gegensatz zu den anderen, in der Regel zwiespältigen »Walking Dead«-Charakteren war Glenn von Anfang an als Identifikationsfigur angelegt. Im Prinzip wünscht man sich als Zuschauerin oder Zuschauer, im Fall einer Zombie-Apokalypse so wie er zu sein.
Ein Asian-American als ungebrochener Held, das wäre im US-amerikanischen Blockbusterkino selbst heute, beinahe neun Jahre nach dem Start von »The Walking Dead«, immer noch eine kleine Sensation. Insofern zeugt Steven Yeuns Karriere auch von einer Popkultur, die tief gespalten ist. Im Kino ist die kulturelle, politische und soziale Dominanz des weißen Amerikas noch viel präsenter als im Fernsehen oder auf den Streamingplattformen. In Serien spiegelt sich die ethnische Diversität der Vereinigten Staaten eher als in Filmen wider. Figuren wie Yeuns Glenn, Maggie Qs »Nikita« oder auch die von Archie Panjabi gespielte Ermittlerin in »The Good Wife« sind in Kinoproduktionen Weißen und gelegentlich Afroamerikanern vorbehalten. Dass Yeun, wie er in einem im Oktober 2018 von »Slate« veröffentlichten Interview gesteht, dennoch angefangen hat, mit seiner Rolle in der Serie zu hadern, offenbart die Komplexität aller identitätspolitischen Diskurse.
Im Rückblick beschreibt der im Dezember 1983 in Seoul geborene Schauspieler den Glenn aus »The Walking Dead« gerade aufgrund seines enormen Identifikationspotenzials als »beige« und meint damit einen stets verlässlichen, moralisch integren Charakter, der letzten Endes eine Fantasie ist, eine Projektion, die auf Klischeevorstellungen von Asian-Americans gründet. Selbst als Held bleibt der amerikanische Koreaner, der im Alter von vier Jahren zusammen mit seinen Eltern nach Kanada gekommen und ein Jahr später von dort ins Umland von Detroit gezogen ist, ein »Fremder«, einer, für den andere Regeln gelten, dem ständig eine von positiven wie negativen Vorurteilen geprägte Rolle aufgezwängt wird. Vielleicht ist auch das ein Grund, warum Steven Yeun seit seinem Ausscheiden aus »The Walking Dead« sehr viel als Sprecher in Animationsfilmen und -serien gearbeitet hat. Eine Stimme lässt sich, anders als ein Gesicht, nicht so schnell in ethnische Schubladen stecken. Auch das ist eine Form des Widerstands gegen ein System, das People of Color längst nicht die Chancen und Freiheiten zugesteht, die für Weiße selbstverständlich sind. Die andere ist der absolute Rigorismus, mit dem Steven Yeun seine Rollen in Spielfilmen auswählt.
Seit »I Origins«, in dem Yeun die geringste Gelegenheit hatte, sich den ihm aufgedrängten Klischees zu widersetzen, hat er nur noch vier Spielfilme gedreht, zwei mit koreanischen, zwei mit US-amerikanischen Regisseuren. Im weitesten Sinne sind seine Auftritte in Bong Jong-hos kapitalismuskritischem Märchen »Okja« (2017), in Joe Lynchs Büro-Splatter-Farce »Mayhem« (2017) und in Boots Rileys vor grandiosen Ideen geradezu überbordender Gesellschaftssatire »Sorry to Bother You« (2018), in der er einen Gewerkschaftsaktivisten und -organisator spielt, Variationen auf Glenn Rhee. Wie in der Serie spielt er auch in diesen Filmen Identifikationsfiguren, die auf der richtigen Seite stehen. Aber sie alle sind auf ihre Art gebrochene Typen, die eben nicht immer anständig und verlässlich sind.
In dem Moment, in dem der Übersetzer K Bongs Heldin, die kleine Mija, belügt und damit auch gegen die Regeln seiner eigenen Gruppe, der »Animal Liberation Front«, verstößt, entwickelt diese Nebenfigur eine faszinierende Tiefe. Yeuns Auftritt in »Okja« ist zwar längst nicht so exzentrisch wie die seiner Ko-Stars Tilda Swinton, Paul Dano und Jake Gyllenhaal. Aber seine Entscheidung für die Sache und gegen das Mädchen bleibt dem Zuschauer ebenso in Erinnerung wie Yeuns Porträt eines angepassten Anwalts, der sich in »Mayhem« durch ein Virus für ein paar Stunden in einen eiskalten Killer verwandelt. Auf den ersten Blick könnte dieser Derek Cho ein Bruder von Glenn Rhee sein. Aber anders als er darf Derek aus dem engen Korsett des Sympathieträgers ausbrechen. Die Kälte, mit der er den Rachefeldzug gegen seine Chefs plant, lässt sich eben nicht allein mit einem Virus erklären, das den Menschen ihre Hemmungen raubt.
Um sich endgültig aus dem Schatten von »The Walking Dead« und Glenn zu lösen, musste Steven Yeun allerdings nach Korea zurückkehren. Seine Rolle in »Burning«, Lee Chang-dongs Verfilmung einer Kurzgeschichte von Haruki Murakami, eröffnet einen neuen Blick auf ihn und seine Arbeit. Einmal nennt der junge Lee Jong-su, der gern ein Schriftsteller wäre, aber in seinem tristen, zukunftslosen Leben kein Sujet findet, den von Yeun gespielten Ben einen »koreanischen Gatsby«. Ein bestechender Gedanke, denn wie Fitzgeralds Gatsby bleibt auch er ein Rätsel, eine Leerstelle. Sein Reichtum und seine Unnahbarkeit trennen ihn von Jong-su und Hae-mi, der jungen Frau, die zwischen den beiden Männern steht. Steven Yeun wahrt die koreanische Fassade perfekt, aber unter ihr schwelt sein zweites, sein amerikanisches Ich. In Bens Auftreten treffen die beiden Welten aufeinander, ohne wirklich zusammenzukommen. Und genau darin liegt der Reiz von Yeuns Spiel – anders als in seinen US-Produktionen muss er sich hier nicht der einen Welt und ihren Regeln unterwerfen.
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