Nahaufnahme von Alan Arkin
Foto: Suzanne Tenner
Ein Hollywoodstar war er nie. Vielleicht weil er so umwerfend uneitel ist. Jetzt ist Alan Arkins Karriere noch einmal in Schwung gekommen
»An Improvised Life«, ein improvisiertes Leben: Der Titel von Alan Arkins Memoiren könnte kaum besser gewählt sein, drückt er doch eine Haltung aus, die Arkins Art zu spielen perfekt beschreibt. Der 1934 in New York geborene Sohn jüdischer Eltern ist nie ein klassischer Hollywoodstar gewesen. Selbst seine Auftritte in Robert Ellis Millers Verfilmung von Carson McCullers' »Das Herz ist ein einsamer Jäger« (1968), für den er eine Oscarnominierung bekommen hat, und in Mike Nichols' Adaption von Joseph Hellers »Catch 22« (1970) haben etwas dezidiert Zurückgenommenes, fast Alltägliches. Die Aura des Mythischen, die Warren Beatty und Robert Redford in den späten 1960er und frühen 70er Jahren kultiviert haben, war ihm immer fremd.
Arkins Figuren, der an der Absurdität des Krieges verzweifelnde Captain John Yossarian aus »Catch 22« wie der Verbrecher Roat, der in Terence Youngs »Warte, bis es dunkel wird« (1967) Audrey Hepburn terrorisiert, begegnen dem Publikum auf Augenhöhe. Es ist nichts Überlebensgroßes an ihnen; sie sind keine Archetypen, sondern strahlen etwas Natürliches aus – und unterscheiden sich damit auch von den Charakteren, die method actors wie Robert De Niro und Jack Nicholson, Dustin Hoffman und Al Pacino in jenen Jahren gespielt haben.
Arkins Natürlichkeit erwächst eben nicht aus dem Versuch, eine Rolle möglichst realistisch zu verkörpern. Sie ist vielmehr Ausdruck einer wunderbaren Schlichtheit. Wenn Yossarian alles daransetzt, den Militärarzt Doc Daneeka dazu zu bringen, ihn für verrückt zu erklären und nach Hause zu schicken, vergisst man beinahe, dass diese Szene gespielt ist. Sein Drängen und schließlich das ungläubige Staunen in dem Augenblick, in dem er begreift, dass er in einem nicht aufzulösenden Widerspruch gefangen ist, spiegeln das Leben in seiner ganzen Planlosigkeit. Arkins unauffälliges Spiel erdet Nichols' sonst eher ins Hysterische überspitzte Kriegssatire. Yossarian ist der eine, der sich in einer komplett aus den Fugen geratenen Zeit vollkommen normal verhält. Darin liegt eine ergreifende Komik, die jeden Moment ins Tragische kippen kann.
In seiner Autobiografie erzählt Alan Arkin eine aufschlussreiche Anekdote aus seiner Kindheit. Als Achtjähriger war er mit seinem Vater in einem Film, der ihm überhaupt nichts sagte. Um sich nicht zu langweilen, stellte er sich vor, er wäre mit den Schauspielern in einem Raum und würde sich im Schrank verstecken. Eine Hand formte er zu einem Kreis, durch den er wie durch ein Schlüsselloch auf die Leinwand blickte. Plötzlich wirkten die flackernden Bilder unecht. Arkin erkannte, dass die Frau und der Mann im Film nicht miteinander agierten. Sie spielten für den Zuschauer im Saal.
Der zunächst desillusionerende Moment war Arkin später ein Ansporn. Blickt man auf seine Figuren wie durch ein Schlüsselloch, zerstört das nichts. Er ist in jedem Moment ganz bei seinen Mitspielern. Der Kamera schenkt er keine Aufmerksamkeit. So entsteht ein Eindruck von Nähe und Intimität, der in dieser Intensität selten geworden ist. Das war schon 1966 so bei seinem ersten Kinoauftritt in Norman Jewisons Kalter-Krieg-Satire »Die Russen kommen! Die Russen kommen!«, für die Arkin seine erste Oscarnominierung erhalten hat. Natürlich hat er in 50 Jahren auch eine Reihe von Filmen gedreht, die nicht zu Unrecht vergessen wurden: misslungene Komödien wie John Cassavetes' »Sterben... und leben lassen« (1986), Rob Reiners »North« (1994) oder Peter Segals »Get Smart« (2008).
Herbert Ross' satirischer Krimi »Kein Koks für Sherlock Holmes« (1976) dagegen ist geblieben. Hier stellt Arkin als Sigmund Freud sogar Nicol Williamsons Sherlock in den Schatten. Freud kombiniert nicht nur genauso gut wie der Detektiv, dank Arkins nüchternem und sympathischem Spiel erweist sich der legendäre Psychiater zudem als Mensch mit alltäglichen Problemen und Hoffnungen. In Philippe Moras leider in Vergessenheit geratenem Comic-Musical »Return of Captain Invincible« oder »Wer fürchtet sich vor Amerika?« (1983) wird Arkin zum Retter der Menschheit. Sein dem Alkohol verfallener Captain Invincible ist auch noch heute eine der interessantesten Superhelden der Filmgeschichte. Von ihm könnte Marvel noch lernen.
Arkins zweite Karriere begann 2006 mit der Darstellung eines gänzlich schamlosen alten Mannes in Jonathan Daytons und Valerie Faris' »Little Miss Sunshine«, für die er seinen ersten Oscar bekommen hat. Der Part des sexbesessenen, heroinabhängigen Großvaters hat ihm den Weg für eine Reihe unvergesslicher Altersrollen geebnet. In Christine Jeffs' »Sunshine Cleaning« (2008) hat er diese Figur nur variiert. Aber in Ben Afflecks Politthriller »Argo« (2012) und mehr noch in Fisher Stevens' tragikomischem Gangsterfilm »Stand Up Guys« (2012) geht sein Spiel weit über politisch inkorrekte Gags hinaus. In Stevens' nonchalanter Verfilmung von Noah Haidles mal alberner, mal tiefgründiger Hommage ans amerikanische Mafiakino strahlt er eine unvergleichliche Würde aus und ist zudem noch ein wunderbar ruhiger Gegenpol zu den exaltierten Auftritten von Al Pacino und Christopher Walken.
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