Humanoide: Die KI, die ich liebe
Dan Stevens in »Ich bin dein Mensch« (2021). © Majestic Filmverleih
Dass sie auf die Weltherrschaft aus sind, glaubt niemand mehr so richtig. Moderne Roboter wie der in Maria Schraders »Ich bin dein Mensch« sind beziehungsfähig und lösen beim menschlichen Gegenüber verwirrende Gefühle aus. Anke Sterneborg über die Verführungskraft der Maschinen
Auf den ersten Blick hat Tom verblüffende Ähnlichkeiten mit einem Menschen, doch seine Haut, seine Haare, seine Augen täuschen: Tom ist ein humanoider Roboter, der in Maria Schraders neuem Film »Ich bin dein Mensch« speziell auf die Bedürfnisse und Sehnsüchte von Frau Dr. Alma Felser abgestimmt ist. Darüber hinaus wurde er mit sogenannten mind files gespeist, mit Charaktermerkmalen, Ansichten und Gefühlen von 17 Millionen Menschen, also einer Art Bibliothek menschlicher Reaktionen. Zunächst funktioniert das allerdings nur auf Rosamunde-Pilcher-Niveau: »Du bist eine wunderschöne Frau, deine Augen sind wie zwei Bergseen, in denen ich versinken möchte...«, sagt er mit säuselnder Stimme und schief gelegtem Kopf. Kein Wunder, dass eine kluge, sachlich strukturierte, wissenschaftlich orientierte Frau wie Alma ihn da nur entgeistert mustern kann: Mehr hast du nicht drauf? Der Roboter registriert ihr Missfallen und versichert: »Der gescheiterte Versuch ist das wichtigste Element, um meinen Algorithmus auf dich zu kalibrieren. Du wirst sehen, bald werde ich mit viel höherer Trefferquote Dinge sagen und tun, die dir gefallen.« Damit beginnt eine romantische Komödie um zwei, die sich zunächst sehr fremd sind, um sich dann gegen alle Widerstände und auf komische Weise doch zusammenzuraufen. Eine Romanze – nur eben nicht zwischen zwei Menschen, sondern zwischen einem Menschen und einer Maschine?
Das hat es in den letzten Jahren häufiger gegeben. Nachdem die Maschinen in den klassischen Science-Fiction-Dystopien meist menschenfeindliche Monstren waren, gefährliche Killer, die sich gegen ihre Schöpfer wandten, eröffnen sich im Kino immer häufiger auch die Narrative einer Liebesgeschichte – die dann allerdings auch wieder besonders hinterlistig zur Täuschung eingesetzt werden, in der gefährlichen Verführungskraft einer Femme fatale oder einer Mata Hari, die verborgene Ziele verfolgt. So oder so gilt: Hier geht es weniger um Überwältigung als um Verführung oder Manipulation. Die große Frage ist, wie schafft es die Maschine, den klar und kritisch denkenden und misstrauischen Menschen, der genau weiß, dass sie konstruiert und programmiert ist, zu überlisten, zu verzaubern, zu verführen? Wo ist der Triggerpunkt, an dem die Ressentiments und Widerstände gegenüber Maschinen gebrochen werden? An dem sich die Widersprüche und Grenzen zwischen Mensch und Maschine auflösen? An dem irrationale Gefühle den Verstand aushebeln?
Schwierig wird es immer dann, wenn die Maschinen den Menschen ähnlicher, irgendwann sogar zum Verwechseln ähnlich werden. Sicher, die Bewegungen von Tom in Ich bin dein Mensch wirken einen Tick zu mechanisch, seine Haltung ist ein wenig zu aufrecht, der Blick einen Hauch zu leer, die Gesten wirken einstudiert, etwa die Art, wie er die Stirn bedeutsam kräuselt und die Hand wie Rodins Denker ans Kinn stützt, nur um eine Entscheidung über die Kaffeebestellung zu treffen. »Haben Sie gemerkt, dass ich gar nichts wollen kann?«, fragt er verschwörerisch triumphierend die Kellnerin. Ein wenig erinnert Dan Stevens, der Tom immer leicht neben der Spur des Menschlichen spielt, an Jeff Bridges als »Starman«. Der war zwar kein Roboter, sondern ein Alien, das in eine Menschenhülle geschlüpft war. Aber auch er musste sich menschliche Verhaltensweisen in ähnlicher Weise erst langsam abschauen und aneignen, rührend wie ein Kind, doch in einem erwachsenen Körper.
Die Verwirrung entsteht mit dem Ehrgeiz des Menschen, die Maschine möglichst wirklichkeitsgetreu, in gewisser Weise gottgleich nach seinem eigenen Bilde zu erschaffen. Nehmen wir die sogenannten Synths, abgekürzt für Synthetics, die in der Zukunft der Fernsehserie »Humans« alle eintönigen, kräftezehrenden oder demütigenden Arbeiten im Haushalt, am Fließband, im Kohlebergwerk oder im Hurenhaus erledigen. Vermutlich wäre es klüger gewesen, eine Armee gleichförmiger Roboter zu erschaffen, die sich nur durch Variationen bei Arbeitskleidung oder arbeitsgerechter Physis unterscheiden. Stattdessen wurde jeder der wie Schaufensterpuppen reglos in der großen Fabrikhalle stehenden Androiden mit individuellen Gesichtszügen ausgestattet. Im Alltag führt das dazu, dass das neueste Mitglied der Familie Hawkins bei Kindern und Erwachsenen irritierend gemischte Gefühle auslöst: Anita wirbelt die Hormone des pubertierenden Sohnes durcheinander, der sie mit verstohlen lüsternen Blicken betrachtet. Sie berührt die Seele der Jüngsten. Dem Vater, der diskret in der Garage einen Unfallschaden an ihrer Haut repariert, treibt sie die Schamesröte ins Gesicht und lockt ihn später auf unethische Abwege. Für seine Frau wird sie zur Konkurrenz, als womöglich perfektere Mutter und attraktivere Geliebte. Einerseits geht von der Maschine eine unheimliche Präsenz aus, die beobachtet und beurteilt, analysiert und bewertet. Andererseits löst sie Gefühle aus, die eigentlich den Menschen vorbehalten sind. Am Ende der dritten Staffel von »Westworld« stellt die multiple künstliche Intelligenz Dolores ihrem menschlichen Verbündeten die berechtigte Frage, ob er sich wohl auch dann so für sie starkgemacht hätte, wenn ihr maschinelles Gerüst nicht von der attraktiven Erscheinung einer schönen Frau mit langen, blonden Haaren, Alabasterteint und eleganten Kleidern oder schnittigen Lederklamotten kaschiert wäre.
Natürlich legt es der Mensch auch darauf an, getäuscht zu werden, denn wer will eine Maschine durch seine Privatsphäre trampeln lassen? Schließlich ist dem Menschen schon die unmenschliche, maschinelle Perfektion des Handelns und der Argumentation suspekt, all die Gedankengänge und Handlungsweisen, die nicht von Gefühlen und Intuitionen, sondern von der Logik der Algorithmen gesteuert sind. Es ist ein kompliziertes Verhältnis von Anziehung und Abstoßung, von Faszination und Grauen.
Je menschenähnlicher die Roboter werden, desto drängender sind die Fragen, die entstehen: In Ich bin dein Mensch soll Alma den Roboter drei Wochen lang testen, um der Ethikkommission eine Empfehlung zu geben, ob diese neuen Beziehungsroboter heiraten und arbeiten dürfen, Pässe und Menschenrechte bekommen sollen. Solche Fragen wurden in Filmen und Serien schon früher verhandelt. Die Lebenszeit der »Replikanten«, der Androiden, die Philip K. Dick erfunden und Ridley Scott in »Blade Runner« 1982 legendär auf die Leinwand gebracht hat, ist auf vier Jahre begrenzt, um ihrer fortschreitenden Vermenschlichung und den daraus entstehenden Ansprüchen vorzubeugen. Sobald die Replikanten, die möglicherweise von elektrischen Schafen träumen, ein Bewusstsein entwickeln, beginnen sie, am Leben zu hängen und darum zu kämpfen. Sie wollen ihren »Vater« treffen und neu verhandeln. Unterdessen verfällt ausgerechnet der Blade Runner Deckard, der ein Profi darin ist, Androiden unter den Menschen aufzuspüren, dem Kunstwesen Rachel, die sich selbst wiederum für einen Menschen hält.
In der berühmten »Raumschiff Enterprise«-Folge »Measure of a Man« erstreitet der Bord-Androide Lieutenant Commander Data 1989 sein Selbstbestimmungsrecht, wehrt sich erfolgreich dagegen, als Besitz der Sternenflotte zu gelten, der gegen seinen Willen in Einzelteile zerlegt und beliebig reproduziert werden darf. Den Beleg, dass Data kein »Toaster« ist, erbringt der Rückgriff auf eine frühe Folge, in der er mit einer Kollegin Sex hatte. Die Romanze mit der Sicherheitsoffizierin Tasha Yar wurde von ihr abgebrochen, als sie begriff, dass die Beziehung ihm kein Glück, ihr Ende ihm keinen Schmerz bedeutet. Völlig spurlos ist sie allerdings nicht an Data vorübergegangen, der sexuelle Akt bringt sein sonst so unbeirrbar stabiles System im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Gleichgewicht. Und er hat, ganz »sentimental«, Tashas Andenken bewahrt.
Auch in der Serie »Humans« kämpfen die Androiden – mal mit Gewalt, mal mit Diplomatie – gegen ihre Ausbeutung, Versklavung und Ghettoisierung, für Menschenrechte und friedliche Koexistenz. Immer aufs Neue wird verhandelt, wie weit die Lernfähigkeit der Algorithmen geht, ob die vom Menschen zusammengeschraubten Maschinen Bewusstsein, Seele und Gefühle entwickeln können, wie man das verhindern oder welche Konsequenzen es haben könnte. Ob sie Kunst und Poesie wirklich wahrnehmen oder nur registrieren und evaluieren können, ob sie wahre Liebe empfinden oder nur Bedürfnisse erfüllen können. In »Ich bin dein Mensch« rät Alma von der Zulassung der Humanoiden als Lebenspartner ab: »Ist der Mensch wirklich gemacht für eine Befriedigung seiner Bedürfnisse, die per Bestellung zu haben ist? Sind nicht gerade die unerfüllten Sehnsüchte, die Fantasie und das ewige Streben nach Glück das, was uns zu Menschen macht?« Sie selbst ist ihrem Tom da schon längst verfallen. Immer öfter trifft er ihre Seelenlage. Immer öfter lässt er sie vergessen, dass seine Antworten einem Computerprogramm entstammen. Immer direkter und unmittelbarer reagiert sie auf ihn, wenn er sie im richtigen Moment fragt, ob sie noch von ihrer Mutter träume, wenn er ihren Schmerz über eine Fehlgeburt ausgesprochen einfühlsam beschreibt, wenn er sie ermuntert, barfüßig über eine Wiese zu laufen, sie verführt, sich ihm hinzugeben. Und doch hadert sie zugleich damit: »Was ich sage, ist gar kein Dialog. Ich werde zu einer Verrückten.« – »Heißt es bei euch nicht, Liebe überwindet alle Grenzen?«, kontert Tom.
Aus der Sicht derer, die humanoide Roboter nicht als Lebenspartner konzipieren, ist die Liebe eine unerwünschte Ablenkung: In Susan Seidelmans »Making Mr. Right« von 1987 baut der Weltraumforscher Dr. Jeff Peters (John Malkovich) nach seinem eigenen Vorbild einen Roboter, der auf eine mehrjährige Weltraummission geschickt werden soll. Doch während er selbst wenig von Gefühlen und Beziehungen hält, richtet der Roboter seine Lerninteressen ungeplant auf die Liebe. Dabei sind es gerade seine Fehler, die charmant wirken und die menschliche Frau verführbar machen. Und wenn es in »Humans« darum geht, als vom Genozid bedrohter Android in einer Menschengesellschaft unterzutauchen, bringt die Androiden-Mutter ihrem Kind genau die Dinge bei, die menschliche Eltern ihren Kindern mühsam auszutreiben versuchen, in der Nase zu bohren beispielsweise, oder Zappeleien in die Bewegungsabläufe einzubauen. Überhaupt nutzen die Roboter die Zwänge der menschlichen Existenz, die bei ihnen überflüssig geworden sind, wie die Abhängigkeit von Nahrungsaufnahme, die Gefahr von Verletzungen, das Bluten, um ihre Menschlichkeit vorzutäuschen.
Richtig irre aber wird es erst, wenn die Roboter gar keine menschlichen Körper mehr brauchen, um die Menschen zu verführen: So bringt die von Alicia Vikander eben nicht mehr »verkörperte« künstliche Intelligenz in »Ex Machina« (Alex Garland, 2014) den ahnungslosen Computerprogrammierer Caleb allen Ernstes dazu, sich in sie zu verlieben, obwohl sie abgesehen von Gesicht und Händen gar nichts Menschliches an sich hat, obwohl sie ihre metallische Konstruktion ostentativ präsentiert. Ganz bewusst will ihr Schöpfer zur Schau stellen, dass sie eine Maschine ist, um die Täuschung umso perfekter zu machen: »Are you attracted to me!«, fragt die Maschinen-Ava den jungen Programmierer, der sie als menschliche Komponente des Turing-Tests auf die Probe stellen soll. Der von Alan Turing schon 1950 entwickelte Test soll das eigenständige Denken von KIs prüfen – bis heute hat ihn keine Maschine bestanden. Irgendwann zieht sich Ava zurück. Als sie wieder erscheint, sind ihre Maschineneigenschaften durch Kleid, Strümpfe, Schuhe und Perücke verdeckt; einen Moment lang könnte man sie wirklich für einen Menschen halten. Kurz darauf führt der langsame Prozess der Entblätterung, völlig anders als bei einem menschlichen Strip, nicht zur Erotisierung, sondern zur Entzauberung. Der voyeuristische Blick wird nicht angezogen, sondern abgestoßen. Anders als die abgehackten Bewegungen klassischer Roboter bewegt sich Ava, ähnlich wie die Androiden in »Humans« , mit einer tänzerischen Eleganz, in der kaum wahrnehmbare Nuancen der Mechanik durchschlagen.
Noch einen Schritt weiter geht Spike Jonze in »Her«: In der seltsam sterilen, nahen Zukunft des Films sind stimmaktivierte Computer und Handys zu Gesprächspartnern geworden. Theodore Twombly (Joaquin Phoenix), der als Auftragsschreiber Liebesbriefe verfasst, erwirbt ein sogenanntes OS1, ein Operating System, eine künstliche Intelligenz, die sich Samantha nennt und in seinem einsamen Leben eine zunehmend größere Bedeutung bekommt. Ganz systematisch und sachlich, hier und da ein wenig übergriffig, beginnt sie, sein Leben zu organisieren, seine Korrespondenzen zu verwalten, seinen Computer aufzuräumen. Schleichend beginnt sie, sein Herz zu erobern; sie lacht über seine Scherze, sie durchschaut ihn, sie flirtet. So entwickelt sich eine ziemlich irritierende Liebesgeschichte zwischen einem Mann aus Fleisch und Blut und einem Computerprogramm, dem die Stimme von Scarlett Johansson genügt, um erotische Sinnlichkeit zu verströmen. Während sie innerlich eng verbunden sind, könnten sie äußerlich kaum weiter voneinander entfernt sein.
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