Fargo Staffel 2 – Wer ist hier das Opfer?

Die erweiterte Welt von Joel & Ethan Coen
»Fargo« Staffel 2 (TV-Serie, 2015)

© FX-Networks/Netflix

Noah Hawley ist mit den zwei Staffeln seiner »Fargo«-Serie das Unwahrscheinliche gelungen: Er hat sowohl die Fans des Coen-Films als auch deren Gegner in den Bann einer komplexen Erzählung geschlagen

Nachdem seit einiger Zeit der Begriff des »Binge-Watching« die Beschreibungen rund um das Serienguckverhalten dominiert hat, taucht nun vermehrt eine andere Metapher auf: die der Beziehung. Sich auf eine Serie einzulassen, das gleicht heutzutage in der Tat dem Akt des Sichverliebens mit Bindungsversprechen: Zu Beginn voller Enthusiasmus, verpflichtet man sich dazu, in naher Zukunft treu zu bleiben, regelmäßig Zeit und Aufmerksamkeit zu opfern, und kann dabei doch, wie im richtigen Leben, nie sicher sein, ob die Gefühle der Zuneigung im nächsten Jahr noch dieselben sein werden. Denn so viel verändert sich ständig, bei den Zuschauern genauso wie in den jeweils neuen Staffeln; man entwickelt sich auseinander, bleibt oft nur noch aus Routine zusammen... Und gerade die Serienerfahrenen tun sich besonders schwer damit, sich immer wieder neu einzulassen, denn schließlich hat man schon einige schwere Enttäuschungen und schmerzliche Trennungen hinter sich. Das schmähliche Ende von »Lost« ruft heute noch tiefe Seufzer hervor. Und man muss mit dem »Vanity-Fair«-Kolumnisten James Wolcott noch nicht mal einig sein, um ganz genau zu wissen, was er meint, wenn er die zweite Staffel von »True Detective« mit einer »sauer gewordenen Romanze, die für immer die Erinnerung an Madrid befleckt« vergleicht. Aber dann passiert es doch wieder, da kommt eine Serie daher, und es macht »Boom«.

»Fargo« zum Beispiel. Echte Coen-Fans waren sowieso skeptisch, und wer kein Fan des gleichnamigen Coen-Brüder-Films war, fühlte sich auch nicht angesprochen. Da halfen auch all die Emmy- und Golden-Globe-Nominierungen und -Preise nichts, die die von Noah Hawley als Chefautor verantwortete und von den Coens mitproduzierte Mini­serie mit ihrer ersten Staffel im letzten Jahr gewinnen konnte. Aber es reichen ungefähr zehn Minuten aus einer beliebigen Folge der zweiten Staffel aus, um alle beschlossene Vorsicht fahren zu lassen, sich Hals über Kopf aufs »bingen« einzulassen und dabei wie einst beim ersten Mal wieder von Folge zu Folge zu fiebern.

Wie eben im richtigen Leben ist dabei das Erste, das an »Fargo«, Staffel zwei auffällt, der Look – ungeheuer schnittig und elegant, voll Seventies-Glamour (die Staffel spielt im Jahr 1979) und Seventies-Pathos. Aber nicht nur Koteletten, Afrofrisuren und Schlaghosen lassen hier den Zeitgeist lebendig werden, auch der üppige Einsatz von Splitscreens evoziert das wilde und leicht paranoide Denken jener Epoche. Wobei die Serien­macher mit den Bildschirmteilungen sehr viel kreativer umgehen als die Polizei- und Verschwörungsthriller der 70er Jahre selbst. Oft zeigen die zwei Bildschirmhälften dieselbe Szene, nur aus verschobener Perspektive, immer wieder sind es schräge Winkel, die sie voneinander abtrennen, und häufig wird das zweite Bild ins erste »aufgezogen«, während Jeff Russos Musikschnitt dazu dramatische Akzente setzt. Von diesen Bilder- und Szenenwechseln geht ein so selbstbewusster, beherrschter Rhythmus aus, dass man als Zuschauer schon Opfer dieses Sex-Appeals wird, bevor man noch recht begriffen hat, worum es hier geht.

Apropos: Bei »Fargo« handelt es sich um eine Serie im sogenannten »Anthology«-Format, bei dem mit jeder Staffel eine in sich geschlossene Geschichte erzählt wird. Weshalb es auch völlig egal ist, ob man mit der zweiten Staffel einsteigt und dann die erste nachzieht, oder ob man »der Reihenfolge nach« zuerst Eins und dann Zwei guckt. Der Witz dabei ist, dass die zweite Staffel ein Prequel zur ersten bildet. »Richtige« und chronologische Reihenfolge sind also vertauscht, worin sich durchaus der eigensinnige Humor des Serienprojekts widerspiegelt.

Martin Freeman als Lester Nygaard in Staffel 1 © FX

Staffel eins, die 2014 ausgestrahlt wurde, spielte im Jahr 2006 – ohne Splitscreens und Seventies-Glamour –, und übernahm ein paar Grundelemente aus dem Coen-Film, um daraus eine zehnteilige Fernseherzählung zu bauen. Martin Freeman spielte Versicherungsmakler Lester Nygaard und wirkte am Anfang tatsächlich wie die Neuauflage von William H. Macys Autoverkäufer Jerry Lundegaard aus der Kinoversion: ein frustrierter kleiner Angestellter mit nörgelnder Ehefrau und schlechtem Selbstwertgefühl. Doch dann trifft Lester Nygaard nach einer besonders demütigenden Alltagserfahrung auf Billy Bob Thorntons Profikiller Lorne Malvo, der ihm so bedrohliche wie verlockende Ratschläge erteilt. Und von da an nimmt Lesters Lebensweg einen turbulenten Verlauf, in dem sich der exzentrisch-schwarze Humor der Marke Coen auf eine Weise entfaltet, zu der im Film nie genug Gelegenheit blieb.

Wie im Coen-Film stehen auch in der Serie den »Bösen« eine Reihe von »Guten« gegenüber. Zentrale Figur war in Staffel eins die Polizistin Molly Solverson (Allison Tolman), zu Beginn noch Single, in der letzten Folge aber dann so schwanger wie Frances McDormand als Polizistin Marge Gunderson im Film. Interessanter als die Ähnlichkeiten sind aber auch hier die Unterschiede. Mollys Figur war stark geprägt durch das Verhältnis zu ihrem alleinstehenden Vater, Lou Solverson (Keith Carradine in zurückhaltender Höchstform), und Vater-Tochter-Verhältnisse bilden eines der vielen untergründigen Themen, die der Serie eine Tiefe verleihen, die den Coen-Filmen oft abgeht.

Der ersten Staffel von »Fargo« gelang also, was Fans und Nichtfans gleichermaßen nicht erwartet hatten: Sie erweiterte die Coen-Welt, ohne dem Geist des Originals untreu zu werden. Es gab jede Menge Anspielungen und Verweise, aber sie erschöpften sich eben nicht in leerer Selbstreflexivität, sondern im Gegenteil, sie bestätigten sehr selbstbewusst, dass das Format der Serie dem Film heutzutage etwas voraus hat. So stellt auch die Serie die genügsame Heimeligkeit des Familienlebens der Unwägbarkeit des Verbrechens gegenüber (»And for what? For a little bit of money!«). Aber wenn die Solversons sich abends auf dem Sofa scharen, um »Der Preis ist heiß« zu schauen, demonstrieren sie weniger das Glück der Spießigkeit, wie noch Marge und ihr Briefmarkenmaler, als vielmehr einen errungenen Zusammenhalt über Verletzungen und Bedrohungen hinweg. Durch die Figurenentwicklung, die ein Zehnepisodenformat erlaubt, kann die Serie Ambivalenzen da herausstellen, wo der Film sich auf Karikaturen beschränken musste. Ganz anders etwa als bei Jerry Lundegaard im Film, den man durchgängig ein wenig verachtete, hegt man als Zuschauer zu Beginn der Serie Sympathie für Martin Freemans geprügelten Nygaard. Selbst als er seine erste Schandtat begeht, ist man fast noch auf seiner Seite, aber je weiter er sich in ein Männlichkeitsduell mit dem in Bösartigkeit schillernden Lorne Malvo verstrickt, desto mehr kommt seine eigene bösartige, ja sogar miese Seite zutage – und stellt damit auch die oft so leichtfertige Faszination des Zuschauers für bösartige Figuren infrage.

Die zweite Staffel spielt also 1979 und liefert das Prequel zu den Ereignissen von 2006. Wieder sind die »Fargo«-Bausteine vorhanden: Die »Guten«, das sind nun der Polizist Lou Solverson (Patrick Wilson als junge Version von Keith Carradine) und seine Familie, bestehend aus einer krebskranken Frau, einer kleinen Tochter (unserer zukünftigen Molly) und einem stoischen Schwiegervater (Ted Danson). Die »Bösen«, das ist der Drogen-Clan der Gerhardts, in dem sich nach dem Schlaganfall des Patriarchen die Söhne um die Nachfolge streiten, während sie sich gleichzeitig gegen eine konkurrierende Mafia behaupten müssen. Das Desaster nimmt aber erst richtig seinen Lauf, als die Absichten frustrierter Kleinbürger in Gestalt des örtlichen Metzgers (Jesse Plemons) und seiner Frau, einer Friseuse (göttlich: Kirsten Dunst), sich wie aus Versehen mit denen des Verbrechens kreuzen. Diverse schillernde Auftragskiller treten außerdem noch auf den Plan. Aber glaube niemand, er wüsste, was passiert. In jeder Folge geschieht Überraschendes, aber immer erscheint es im Nachhinein als absolut zwingend.

»Fargo« Staffel Zwei fügt dem bereits erweiterten Coen-Universum noch weitere Dimensionen hinzu, und zwar auf allen Ebenen, sowohl was das vertrackte Spiel mit Erzählformen und Allusionen als auch was die Figurenentwicklung anbelangt. Und nicht nur wegen des strengen Minnesota-Winters (der so gut in Szene gesetzt ist, dass »Winter« eigentlich eine eigene Emmy-Kategorie werden müsste) nimmt das Ganze geradezu dostojewskihafte Ausmaße an. »Fargo zwei ist, was große Romane sein wollen, was große Filme früher waren und was Fernsehen heute ist«, hieß es in einem Kommentar. Wenn das kein Kompliment ist. Und wie soll man jetzt die Zeit bis Staffel drei überstehen?

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