Die Wirklichkeit ist nicht genug
Foto: Sam Zhu
Nie war das Wort Multitalent so angebracht. Spike Jonze kann alles: Film und Musik, schreiben, spielen, produzieren. Er hat Skaterfilme und Musikclips gedreht, TV-Formate kreiert und ziemlich coole Sportschuhe. Nur sieht man im Kino nicht so viel von ihm: Seit seinem Debüt mit dem Indie-Hit »Being John Malkovich« hat er gerade mal drei Filme gemacht. Der neue, »Her«, läuft jetzt bei uns an
Wenn man davon ausgeht, dass das Verhältnis von Frauen zu ihren Katzen enger ist als das zu ihren Männern, dann kann man den Kater auch gleich in ein schmuddeliges Unterhemd und eine ausgebeulte Trainingshose stecken und im Ehebett schlafen lassen. »Triumph of a Heart« heißt das Stück von Björk, das Spike Jonze auf diese Art illustriert hat, und man fragt sich, was zuerst da war, die Geschichte, das Skript für das Musikvideo oder der Song. So genau ist alles aufeinader abgestimmt: die Geräusche in der Bar, die Zwischenrufe und die Verteilung der Gesangsparts auf verschiedene andere Menschen außer Björk. Anders ist das bei »Crush with Eyeliner« von R.E.M. – da war die Band um Michael Stipe nicht mal im Studio, und die Musiker, die man auf der Bühne oder in der U-Bahn sieht, sind allesamt Japaner. Verzerrung zur Kenntlichkeit, könnte man meinen, oder ein keckes Spiel mit Wahrheit und Wahrscheinlichkeit im endlosen Raum der Illusion.
Dem Schauspieler, Regisseur und Produzenten Spike Jonze ist die Wirklichkeit nie genug. Er geht mit seinen Filmen unter die Hirnrinde, sucht die Seele und findet, erstaunlich genug, immer wieder den Weg direkt zum Herzen. Denn auch mit Kitsch kann er hervorragend umgehen, eben weil er Hintergründe schafft, die diesen sofort infrage stellen oder gänzlich absurd erscheinen lassen. So auch in seinem jüngsten Film »Her«, dem mit dem kürzesten Titel überhaupt, wenn man bei Pig! der zweiminütigen Komödie, in der er als Schauspieler mitwirkt, das Ausrufezeichen dazuzählt. Das sollte man sich übrigens merken: Es gibt nichts Zufälliges oder Überflüssiges in seinen Filmen, auch kein Ausrufezeichen.
»Her« erzählt die Geschichte eines jungen Mannes (Joaquín Phoenix), der die Trennung von seiner Frau, seinem ehemaligen Highschool-Sweetheart, nicht überwinden kann und sich ein OS besorgt, ein Operating System für so etwas wie ein Smartphone. Dieses OS ist weiblich, einfühlsam, verfügbar und vor allem lernfähig. Es entwickelt sich erst eine Freundschaft und dann eine intensive Liebesbeziehung. Das jedoch ist für die nahe Zukunft, in der der Film spielt, ganz normal, nahezu jeder läuft mit einem solchen Gerät durch die Straßen und murmelt bedeutungsschwer in sich hinein. Eine forcierte Abbildung der Gegenwart, wenn man so will.
Das Spannende an »Her« aber ist die Ernsthaftigkeit, mit der diese Beziehung zwischen Datenmodulen und einsamen Menschen geführt wird. Indem Jonze die virtuelle Romanze so ausbuchstabiert wie eine gleichberechtigte, sexuell erfüllte Liebesbeziehung, kann er die Situation ebenso ironisieren wie die Bandbreite der Erzählmuster. Zwischen Kitsch, Pathos und tränenrührigen Trennungen bleibt die Ironie als Spurenelement. Sie begründet ein über allem schwebendes »Als ob« – so wie die japanische Band in dem Musikvideo von R.E.M. oder der Kater in Jogginghose bei Björk. Spike Jonze benutzt Wirklichkeit, um das Absurde darzustellen, und findet dann ein Echo in den realen Räumen, die er besucht. So wurde zum Beispiel eine Nominierung von Scarlett Johansson als beste Nebendarstellerin bei den Golden Globes deshalb abgelehnt, weil sie zwar konstitutiv ist für den Film und sogar die Titelrolle spielt, aber nur als Stimme erscheint. Im Film existiert primär das Bild, der Klang scheint sekundär, ans Bild gebunden. Weil Johansson in »Her« nie zu sehen ist, wird sie zur Chimäre. Dass sie aber ganz absichtsvoll eine Chimäre spielt, wird übersehen. Als hätte es Derek Jarmans Blue nie gegeben. Das wird Spike Jonze, der neben allen kunstversessenen Filmprojekten eben auch Autor, Produzent und Schauspieler der Jackass-Filme und Erfinder der MTV-Serie ist, amüsiert haben.
Ansonsten muss man, wenn man über Spike Jonze spricht, auch von Charlie Kaufman reden. Denn von den vier großen Kinofilmen, die Jonze als Regisseur verantwortete, sind zwei, »Being John Malkovich« (1999) und Adaptation (deutsch Adaption, 2002), nach Drehbüchern von Charlie Kaufman entstanden. Und wenn man sich die Filme anschaut, die Kaufman für den Regisseur Michel Gondry schrieb, Human Nature (2001) oder Eternal Sunshine of the Spotless Mind, der 2004 unter dem vergleichsweise simplen deutschen Verleihtitel Vergiss mein nicht in die Kinos kam, dann kann man sehen, wie sehr sich diese Filme in ihrer Struktur und in der Art des Andersseins ähneln. Jonze und Gondry kannten sich durch ihre Arbeit an Musikvideos. Dass Spike Jonze dann bei Gondrys erstem Film Human Nature auch noch als Produzent auftaucht, so wie Charlie Kaufman bei »Being John Malkovich«, lässt erahnen, dass sich da drei Ausnahmetalente gefunden hatten. Und man darf es ein wenig bedauern, dass sich die Zusammenarbeit nicht fortgesetzt hat.
Kaufmans eigenes Kinoregiedebüt Synecdoche, New York (2008) kam über den Status eines hochgelobten, aber kaum gesehenen Kultfilms nicht hinaus. Und den Erfolg von »Being John Malkovich« konnte keiner der drei bisher wiederholen. Dass der Film so einschlug, mag zum einen an dem clever eingebauten Star-Appeal gelegen haben, zum anderen aber, und das ist sicher bedeutender, war dieser Film einer der ersten seiner Art, einer, der Filmgeschichte und Wirklichkeit so lange durch den Mixer drehte, bis jegliche Orientierung dahin war, der aber trotzdem emotional begeistern konnte. Wenn man zeigt, dass Cameron Diaz, statt nur die Frau von John Cusack zu sein, immer mehr Gefallen daran findet, John Malkovich zu spielen, dann ist das nicht nur ein filmischer Spaß, sondern vor allem eine Variation der Frage von Sein und Schein; es erzählt vom Mut, sich für absurde Ideen zu begeistern. Ach ja, und »gender bending« ist es auch, denn da gibt es noch Catherine Keener, die Cameron Diaz liebt, aber nur, wenn sie in der Gestalt John Malkovichs auftaucht. Klare Linien gibt es nicht.
Allein die Erfindung eines Stockwerks 7 1/2, das nur halb so hoch ist wie alle anderen und den Eingang in das Bewusstsein von John Malkovich eröffnet, ist hinterhältig. Denn irgendwann wird klar, dass es für kleinwüchsige Menschen erbaut wurde und alle Normalen sich jetzt bücken müssen, um an ihrer Normalität zu leiden. Der Film geht in seiner verzwickten Liebesgeschichte, die eine lineare Handlung ausschließt, einzig auf die Frage nach Normalität und Wahnsinn ein, nach Bewusstem und Unbewusstem, nach Trieb und Vernunft. Irgendwann wird John Malkovich selbst durch das Portal in seinen eigenen Kopf kriechen und in seinem Gehirn dann unzähligen anderen John Malkovichs gegenüberstehen. Da erübrigt sich die Frage nach der Identität ebenso wie die nach Original und Kopie. Denn alles beginnt und endet mit dem Begriff »Malkovich«. Nebenbei ist eine Reise in das Bewusstsein von John Malkovich natürlich auch eine grandiose Geschäftsidee. Blitzschnell etabliert sich eine Art lukratives Reisebüro, das zu weiteren Konfusionen führt.
»Being John Malkovich« war ein erstaunlicher Indie-Erfolg. Mehr als sechs Millionen Menschen sahen den Film, er spielte mehr als 23 Millionen Dollar ein und wurde für viele Preise, darunter drei Oscars, nominiert. Ein bemerkenswertes Debüt, in dem sich bereits das Talent von Spike Jonze zeigte, die absurdesten Szenen ganz normal erscheinen zu lassen, ein Stilmittel, das die Faszination all seiner Filme ausmacht.
An das Konzept des Erstlings anzuknüpfen, lag nahe. Weil es aber schlecht einen »Being John Malkovich 2« geben konnte, dachten sich Jonze und Kaufman »Adaptation« aus, der drei Jahre später unter dem Titel »Adaption« in unsere Kinos kam und ebenso wie sein Vorgänger eine Reihe Stars versammelte. Neben Nicolas Cage und Meryl Streep sind Chris Cooper, Tilda Swinton, Brian Cox und Maggie Gyllenhaal zu sehen, in einer Geschichte, die sich in konzentrischen Kreisen um die Nichterzählbarkeit von Geschichten dreht.
Diesmal verdoppelt Charlie Kaufman sich selbst. Neben dem erfolgreichen Drehbuchautor von »Being John Malkovich« tritt ein arbeitsloser Zwillingsbruder Donald (beide Nicolas Cage) auf, der sich dann auch mal als Autor versucht. Der Auftrag, das Sachbuch »Der Orchideendieb« von Susan Orlean für den Film zu adaptieren, stellt sich als schwierig heraus, so dass Charlie eine Schreibblockade erleidet, die er mitthematisieren will, und Donald das Script in einen Klischeekrimi verwandelt. Am Ende sehen wir das Ergebnis als eine Mischung von beiden in dem Film Adaption. Das Spiel mit Fiktion und Realität, mit Fantasie und Erfahrung bleibt unauflösbar, selbst wenn man weiß, dass Susan Orlean eine wirkliche Person ist und tatsächlich ein Buch über den Orchideendieb John Laroche geschrieben hat. Auch der Verkauf der Filmrechte hat wirklich stattgefunden – sie gingen 1997 an 20th Century Fox –, ebenso die Schreibblockade von Charlie Kaufman. Den erfundenen Zwillingsbruder Donald ließ er am Ende der Geschichte sterben und schrieb dessen Namen mit auf das Script, den fertigen Film widmete er ihm. So macht man das, wenn während der Dreharbeiten einer der Beteiligten stirbt. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Vordergründig ganz anders erscheint die Verfilmung des Kinderbuchs »Wo die wilden Kerle wohnen« von Maurice Sendak. Vordergündig, denn schließlich geht es um die Flucht eines Kindes in eine lebendige Fantasiewelt, wo der kleine Max mit den »wilden Kerlen« Krach machen kann, bis er von dem warmen Essen in sein Zimmer zurückgelockt wird. Es ist aber nicht nur deshalb ein typisches Spike-Jonze-Projekt, weil er nicht das nur wenige Szenen umfassende Kinderbuch, sondern die Verarbeitung des Stoffes in dem umfangreichen Roman »Bei den wilden Kerlen« von Dave Eggers verfilmt hat. Das Drehbuch schrieb er gemeinsam mit Eggers und verzichtete weitestgehend auf einen alles überspannenden Handlungsbogen. Anstelle einer klassischen Dramaturgie, der erprobten Dreiaktestruktur, ist der Film situativ und in typisch kindlicher Weise ohne Konsequenzen an den Moment gebunden. Der Wald der wilden Kerle ist ein Spielplatz von geschätzten 100 Millionen Dollar für Spike Jonze. Da fiel es ihm leicht, an seinem Stil festzuhalten.
Den wilden Kerlen blieb er treu, aber er verkehrte die Perspektive. Kurz nach seinem Ausflug ins Familienkino drehte er mit LCD Soundsystem das Musikvideo zu dem Stück »Drunk Girls«, das Lou Reed ebensoviel verdankt wie Iggy Pop. Hier lässt Jonze eine Horde als Pandas verkleideter Schauspieler über die Musiker herfallen und die Bühne verwüsten. Ein wilder Spaß zu treibendem Beat, kindlich naiv, subversiv und voller Drastik. Nur das warme Essen am Schluss fehlt. In all seinen Filmen, und seien sie noch so kurz, bleibt Spike Jonze, der eigentlich Adam Spiegel heißt, einfach Spike Jonze.
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