3D adé
»Avatar: The Way of Water« (2022). © Walt Disney
Im Dezember kommt »Avatar: The Way of Water« ins Kino. Das Sequel, auf das alle gewartet haben . . . Aber ist das 3D, das den Originalfilm so erfolgreich gemacht hat, noch ein Schauwert?
Ganze 13 Jahre ist es her, da hat James Camerons »Avatar« alle Kassenrekorde gebrochen und den Boom des digitalen 3D-Films losgetreten. Doch was als »Zukunft der Filmindustrie« verkauft wurde, ist nach ein paar fetten Jahren so gut wie verschwunden – auch wenn es tatsächlich noch Leute geben soll, die sehnlichst auf »Avatar – The Way of Water« warten. Was ist passiert?
Geht 3D also doch nicht mit Gewimmer zu Ende, sondern mit einem Knall? Also nicht, indem es, wie schon seit Jahren, einfach weiter aus unseren Kinos verschwindet, sondern mit »The Way of Water« als letztem trotzigem Aufbäumen vor dem endgültigen Aus? – Welche Ironie. »Avatar – Aufbruch nach Pandora« war 2009 bei weitem nicht der erste erfolgreiche Film in digitalem 3D, begründete aber mit sagenhaften Einspielergebnissen erst den Hype, allein in Deutschland sahen den für lange Zeit erfolgreichsten Film überhaupt mehr als 10 Millionen Besucher. Und jetzt, unzählige Start-Verschiebungen später, wird die Rückkehr nach Pandora so etwas wie eine Totenmesse für 3D.
Was wurde nicht alles zu Beginn des Hypes prophezeit, nicht nur vom vehementesten Apologeten dieser Technik, James Cameron: 3D würde die Filmsprache von Grund auf umkrempeln, 3D wäre in Kürze der Standard für jeden ernstzunehmenden Film, 3D würde bald nicht nur für die Kinoleinwand, sondern auch für TV-Bildschirme, Laptops und Handys selbstverständlich werden. Kurz: 3D als kopernikanische Wende des Filmschaffens. Anfangs schien der Erfolg des Formats zumindest zu bestätigen, dass es in Zukunft nicht mehr aus dem Kino wegzudenken sein würde. So etablierte sich 3D im Kino bald mit Marktanteilen bis 25 Prozent. Doch bereits vor dem Corona-Knick ging der Anteil 2018 und 2019 auf etwa 16 Prozent zurück, 2021 lag er bei desaströsen 7,5 Prozent. Im Heimkino kam der Einbruch schon früher: Mit LG und Sony haben bereits 2017 die letzten großen Hersteller keine neuen 3D-Geräte mehr angeboten. Inzwischen glaubt wohl nur noch James Cameron daran, dass 3D das Kino revolutioniert.
Dabei bedient die Technik ohne Zweifel eine uralte Sehnsucht. Schon immer wollten die Bilder, unbewegte wie bewegte, dreidimensional werden, und wie das prinzipiell funktioniert, nämlich indem man linkem und rechtem Auge »wie im echten Leben« minimal versetzte Perspektiven serviert, wurde schon früh erkannt. Stereoskope und »Kaiserpanoramen« versprachen bereits vor etwa 150 Jahren räumliche Immersion, das Anaglyphen-System mit Rot-Grün-Brillen machte 3D in den 1950ern massentauglich, wenn auch auf Kosten der Farbe, mit immensem Produktionsaufwand und nur kurzfristigem Erfolg. Und auch die 1970er und 1980er Jahre sahen neue, kleinere Wellen des 3D-Films – hauptsächlich bei Sex- und Horrorfilmen, von »Lollipop Girls in Hot Candy« bis »Rottweiler – Dogs of Hell«.
Das digitale 3D, wie es in den nuller Jahren dieses Jahrtausends entwickelt wurde, ist all diesen Vorgängern weit überlegen, egal ob es mit Polfilter- oder Shutterbrillen daherkommt. Kein Wunder, dass es zunächst begeisterte und größte Erwartungen weckte. Und ja, es hatte auch jenseits der beeindruckenden fremden Welten von »Avatar« seine Momente. Animationsfilme wie »Oben« oder der Stop-Motion-Film »Coraline« setzten die räumliche Tiefe vollkommen schlüssig als erzählerisches Mittel ein, Tim Burtons »Alice im Wunderland« – obgleich erst nachträglich in 3D konvertiert – nutzte die neuen Möglichkeiten ausschweifend und erfindungsreich, »Gravity« ließ uns schwerelos im All schweben. Noch verblüffender war, was Dokumentarfilme mit 3D anstellten: Wim Wenders versetzte in »Pina« die Kamera und damit uns Betrachter in Pina Bauschs Choreografien hinein, als seien wir schon immer Teil davon. Werner Herzog brachte die 30.000 Jahre alten Höhlenmalereien von Chauvet durch seine räumliche Inszenierung in Bewegung, sodass ihre Bildergeschichten von selbst zu erzählen begannen.
Die Räumlichkeit der Bilder gab immer wieder Anlass zum Staunen, und ja, auch ich war von »Avatar« zunächst beeindruckt, von dieser flirrenden Mischung aus realen und computeranimierten Elementen – bis beim zweiten Sehen die Banalität und Rührseligkeit der Geschichte deutlicher hervortraten. Vielleicht steckt darin bereits das ganze Dilemma des 3D-Films: Was bringen die überwältigenden Effekte, wenn damit überwiegend läppische Geschichten erzählt werden? Das reine Spektakel nutzt sich schnell ab.
Bei der raschen Ermüdung des Publikums nach dem Boom mag auch die Technik eine Rolle spielen: D3D ist zwar eindeutig besser als alle früheren Verfahren, doch bei weitem nicht perfekt. Lassen wir seltener auftretende Effekte wie Kopfschmerzen und Übelkeit mal beiseite, können schon die Brillen auf Dauer nerven – besonders, wenn man sowieso Brillenträger ist. Gravierender ist wohl die geringere Lichtstärke der 3D-Bilder, die in der Projektion oft seltsam verschleiert wirken. Und was wohl besonders zum Ende der Euphorie beigetragen hat: Sehr bald lösten viele Filme nicht einmal mehr ihr visuelles Versprechen ein. Nachträgliche Konvertierungen von minderer Qualität ließen statt eines räumlichen Bilds den Eindruck von hintereinander aufgestellten Pappkulissen entstehen: 3D als Pop-up-Buch? – Nein, danke. Nicht selten war auch unverständlich, warum ein Film überhaupt räumlich sein sollte. War es künstlerisch so naheliegend, dass die Hauptfigur in Gaspar Noés verquastem »Love« 3D irgendwann direkt in die Kamera ejakuliert? Ging es eventuell nur um diese vermeintlich provokante Aufdringlichkeit? »In-your-face«-Effekte nervten bereits bei Filmen aus den 1950ern, wo ständig Pfeile Richtung Publikum geschossen wurden. Aber für diese Frühzeit des 3D lässt sich das noch mit dem kindlichen Überschwang des »Schau her, sieht aus, als käme alles direkt auf dich zu! Toll, oder?« erklären.
Die deutlich höheren Kino-Eintrittspreise für 3D nährten zudem den Verdacht, der Hype sei nicht genuin, sondern werde hauptsächlich von der Industrie erzeugt. Und in der Tat war 3D ja auch eine umsatzfördernde Antwort auf massive Herausforderungen der Branche: den Siegeszug von Heimkino und Online-Raubkopien Anfang der 2000er. Ähnlich wie André Bazin 1953 fragte: »Will Cinemascope save the film industry?«, fragte das »Wall Street Journal« im März 2010: »Can 3-D save Hollywood?« – Kann es nicht. Inzwischen läuft 3D nebenher. Die Marvel- und DC-Superhelden, James Bond oder »Dune« kommen still und leise zusätzlich als 3D-Version ins Kino.
Eine schlüssige Verbindung von Spektakel und Narration ist das 3D-Kino nach vielen spannenden Ansätzen letztlich schuldig geblieben. Schauwerte waren zwar schon immer ein starkes Argument für den Kinobesuch, aber jede spektakuläre Innovation, wollte sie sich etablieren, musste in der Narration eine Entsprechung finden, zu Veränderungen der Filmsprache führen. Das gelang wirklich revolutionären Entwicklungen wie dem Tonfilm, aber auch der Farbe und den Breitwandverfahren. Das 3D-Kino scheint es versäumt zu haben, seine eigene Ästhetik herauszubilden – die hektisch geschnittenen Actionszenen der Superhelden-Blockbuster, die den Markt seit 2010 geprägt haben, kommen der Wahrnehmung räumlicher Bilder, die einfach mehr Zeit pro Einstellung braucht, nicht entgegen. Unterm Strich bleibt 3D ein Spezialeffekt.
Noch radikaler betrachtet: Funktioniert die räumliche Erfahrung im Kino nicht auch ohne stereoskopische Verfahren, wenn ein fähiger Regisseur sie inszeniert? Kubricks Fahrten durch die Schützengräben in »Wege zum Ruhm« oder durch die Flure des Hotels in »Shining« könnten in 3D kaum größere Tiefenwirkung entfalten. Und Hitchcocks Kammerspiel »Bei Anruf Mord«, im Anaglyphen-Verfahren in 3D gedreht, wirkt auch ohne 3D-Projektion erstaunlich räumlich. Ein guter Film braucht offenbar kein 3D, und 3D allein macht noch lange keinen guten Film.
Wird es also bald nur noch in Themenparks zu finden sein? – Wahrscheinlicher ist, dass das 3D-Kino ein Nischendasein fristet bis zur nächsten technischen Revolution (3D ohne Brille!). Und ab und an wird es überzeugen: Wenn die räumliche Dimension nicht Beiwerk ist, sondern Sujet, wenn 3D geschickt eingesetzt wird, um von fremden Planeten oder Höhlen aus der Steinzeit zu erzählen. Ansonsten werden wir ganz gut darauf verzichten können.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns