Kritik zu Simons Geheimnis

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Der kanadische Autorenregisseur Atom Egoyan ist ein besessener Erzähler familiärer Verstrickungen. Diesmal verknotet er einen tragischen Unfall, ein vermeintliches Selbstmordattentat und das Internet

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Es geht Egoyan stets um das Geheimnis tiefer emotionaler Bindungen, vor allem um die Projektionen und Illusionen im komplexen Geben und Nehmen zwischen den Generationen. Schuld, Verlustschmerz und Trauerarbeit grundieren das Beziehungsgewebe in seinen Filmen, Erinnerungsbilder und Traumszenen erhalten beschwörende Präsenz. Viele seiner Filme sind magische Trips, deren Fluss sich auch dem Kameramann Paul Sarossy, der Cutterin Susan Shipton, dem Komponisten Mychael Danna und einer Darstellerfamilie verdankt, zu der Atom Egoyans Ehefrau Arsinée Khanjian gehört. Auch in seinem neuen Film »Simons Geheimnis« arbeiten sie zusammen, doch erweist sich das mehrschichtige Erzählen darin als eher schwere Last.

In »Exotica« folgte ein einsamer Steuerfahnder seiner Obsession für die »Schoolgirl«- Nummer einer bestimmten Tänzerin in einer Stripteasebar, er provozierte ein verworrenes Geflecht von Eifersuchts- und Rachegefühlen, bis sich herausstellte, dass das Mädchen ihn nicht nur an seine ermordete Tochter erinnerte, sondern auch bei den polizeilichen Suchaktionen diejenige war, die ihre Leiche fand. In »Das süsse Jenseits« brach ein Anwalt kaum verheilte Wunden und Nachbarschaftskonflikte auf, als er in einer Kleinstadt versuchte, die Eltern von vierzehn bei einem Busunglück gestorbenen Schulkindern zu einer gemeinsamen Schadensersatzklage zu bewegen.

Egoyans Erzählrhythmus hat eine an Hitchcocks »Vertigo« und Resnais' »Letztes Jahr in Marienbad« geschulte Formsprache, er liebt hypnotische Kamerafahrten und insistierende Wiederholungen in der Montage. Der in Kairo geborene, aus einer armenischen Exilfamilie stammende und in Kanada aufgewachsene Regisseur durchdringt die Thrillerlogik oft mit orientalischer Opulenz. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft fließen ineinander, er holt die untoten Einflüsterer seiner Figuren in die komplizierten Zeitlichkeitsebenen seiner Filme hinein.

»Simons Geheimnis« ist in Toronto angesiedelt, in der Welt eines melancholischen Teenagers (Devon Bostick), der durch ein Französischdiktat seiner Lehrerin Sabine (Arsinée Khanjian) dazu angeregt wird, einem Familiengeheimnis auf den Grund zu gehen. Der Junge, der bei seinem schweigsamen Onkel Tom (Scott Speedman) aufwächst, erinnert sich in lyrischen Flashbacks immer wieder an seine Mutter (Rachel Blanchard), eine schöne Violinistin, und seinen Vater Sami (Noam Jenkins), einen Geigenbauer mit arabischen Wurzeln. Beide Eltern starben bei einem Autounfall, doch Simons Großvater, ein weißhaariger Patriarch, verteufelt den Schwiegersohn und gibt ihm die Schuld an dem Unfall. Sabine ihrerseits diktiert die Geschichte eines arabischen Terroristen, der seine schwangere Frau mit einer Tasche voll Sprengstoff in ein israelisches Flugzeug setzt, wohl wissend, dass er sie und sein ungeborenes Kind mit allen Passagieren dem Tod ausliefert. Simon macht sich dieses erfundene Szenario zu eigen, arbeitet es sogar als Monolog für Sabines Dramakurs aus und verstrickt sich parallel dazu im ausbrechenden moralischen Disput über diese Geschichte in einem Internetforum.

Sabines verborgene Motive für ihre Einflussnahme auf den Schüler, Simons trotzige Identifikation mit der falschen Story über seinen Vater, Toms Schweigen über die wahren Todesumstände von Simons Eltern bringen die drei Hauptfiguren im mäandernden Handlungsverlauf dazu, sich über ihre Beziehung zueinander und zu den Geistern der Vergangenheit klarzuwerden. Wenn das Drehbuch auch überzeichnet wirkt, einige Bilder bleiben in Erinnerung: So dringt Sabine einmal verborgen unter einem prachtvollen arabischen Gesichtsschleier in Toms und Simons Haus vor und konfrontiert die beiden inmitten ihrer christlichen Weihnachtsvorbereitungen mit dem verdrängten anderen Element ihrer Familiengeschichte.

Dennoch konfrontiert er das scheinbar der Zeit enthobene Innenleben seiner Figuren mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Seine Themen sind der Einfluss des Konsumismus auf die Emotionen, das voyeuristische Regelwerk der Sexualität, die Trugbilder moderner Medien und die Gewalt der Vorurteile. »Simons Geheimnis« begibt sich in die zweifelhafte Kommunikationssphäre des Internets.

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