Lachen ist schwerer
© Monique Wuestenhagen
Helge Schneider hat einen neuen Film gemacht: 00 Schneider – Im Wendekreis der Eidechse. Der Entertainer, Musiker, Schauspieler und Selbstdarsteller wird meist in die Comedian-Schublade gesteckt. Dabei ist er ein genuiner Künstler des Komischen. Mit Harald Mühlbeyer unterhielt er sich über Dilettantismus und Filmästhetik, über Entspannung und seine Filmerfahrungen
Mich hat überrascht, wie gut 00 Schneider – im Wendekreis der Eidechse aussieht. Nicht nur weil er auf 16 mm gedreht ist, sondern überhaupt, weil Sie den gewollten Dilettantismus Ihrer vorherigen Filme hinter sich lassen. Hier gelingt eine wirklich runde filmische Ästhetik.
Ein Qualitätsprodukt.
Genau: ein Qualitätsprodukt.
Das wollte ich immer schon machen. Bei Texas – Doc Snyder hält die Welt in Atem war es mir nicht gelungen, weil ich so unzufrieden war mit den Aufnahmen und wir nachdrehen mussten. Wir haben dann 25 Minuten genommen, die wir aber in anderthalb Tagen gedreht haben. Damals hat Christoph Schlingensief die Kamera gemacht, wir haben mit 35-mm-Schulterkamera gedreht, ohne besondere Stative, da wackelt alles, und dadurch wirkt es dann dilettantisch. Aber es ist nicht gewollt dilettantisch, und das ist auch das Schöne dabei.
Es ist in Kauf genommen?
Ja, in Kauf genommen, ich habe es eben einfach gemacht. Genauso in den anderen Filmen, bei Praxis Dr. hasenbein der gemalte Tunnel und diese drei Häuschen. Ich wollte ja alles viel größer haben, das ist so nicht gewollt. Das ist aber auch nicht schlimm, wenn da einfach der Geldmangel sichtbar ist. Ich nenne es vielleicht auch dilettantisch, so vorzugehen. Dann ist es aber auch nicht mein Dilettantismus gewesen, sondern der vom Produzenten, der zu wenig Geld ausgegeben hat.
Egon Friedell sagt im Vorwort seiner »Kulturgeschichte der Neuzeit «, dass Dilettantismus das umfassend schöpferische Werk des Liebhabers ist.
Genau, amateurhaft eben, wie in amare – lieben: Ein richtiger Amateur ist eigentlich zu schätzen, genau wie der richtige Dilettantist.
Sie nutzen den ästhetischen Minimalismus als Stilmittel?
Im Nachhinein muss ich sagen, dass mir der Hasenbein nicht so gelungen ist. Das war zu chemisch, da gab es keine Originalaufnahmen, das war alles gebaut. Jetzt der neue und Jazzclub, das sind eigentlich die Filme, die nur an Originalschauplätzen gedreht sind. Bis auf Innenaufnahmen natürlich, die Kommissarwohnung oder so.
Das ergibt einen merkwürdigen Effekt, weil man das normale soziale Leben auf der Straße hat und zugleich diesen absurden Film mit absurder Handlung, der parallel läuft.
Das stellt ja überhaupt die ganze Menschheit infrage. Die ewige Frage: Gibt es uns eigentlich? Oder sind wir nur Fantasie, vielleicht so ein Film? Aber in der Figur des Kommissar Schneider ist ja von vornhinein, im ersten Film schon, eine Selbstironie drin, das hast du sonst ganz selten. Und dadurch kann er auch durch diese Welten führen: Auf der einen Seite ist er total echt, weil das bin ja ich, auf der anderen Seite mit so viel Selbstironie und so vielen Metaphern und mit so trivialem Zeugs gefüllt, wie ne Comicfigur fast schon. Aber trotzdem hat er eine Seele, und so kann er durch die Gegend wandern. Und so kann er auch die Schauplätze Spanien und Deutschland verbinden. Eigentlich, bei einem normalen Film, denkt man ja gar nicht daran, dass einer an der spanischen Küste vorbeifährt und dann in Mülheim in der Fußgängerzone ankommt. Aber in diesem Film ist plötzlich alles machbar.
»Der spanische Teil der Stadt«, heißt es ja im Film.
Ja, richtig.
Dieses Zersetzen von Wirklichkeit, das geht ja auch über in das Zersetzen von filmischen Konventionen. Da bewegen sich zum Beispiel alle ganz gemächlich: Wollten Sie die Langsamkeit feiern?
Der Grundgedanke ist die Realität. Und die ist nicht so wie im Kino. Die ist so langsam. Wenn der eine in der Tiefgarage mal verprügelt wird, da wird kurz Hollywood gezeigt. Aber in einer Nebenphase. Während die Hauptfigur durch den Film führt als realer Mensch und als Realitätsprotagonist. Und auch die anderen – deshalb ist es für mich auch schwierig, mit richtigen Schauspielern zu drehen. Das sind ja bei mir alles Leute, die sich im Grunde selber spielen. Leute, die ich entdecke und bei denen ich mir dann vorstelle: Was könnte der denn jetzt gut? Wenn wir an den Sergeant Cole denken: Ira Coleman ist seit drei Jahren als Bassist mit mir auf der Bühne. Oder der Salvatore Bonarrigo, der ist Pizzabäcker und Kellner, und der sieht einfach so aus wie der Chief. Und er spielt den Polizeichef so glaubwürdig, das kann kein Schauspieler. Weil der Salvatore gar nicht weiß, dass er das ist, er ist es einfach. Während der Schauspieler immer weiß, dass er gerade irgend eine Figur ist und sie deshalb gar nicht richtig sein kann.
Die Action im Film spielt sich im Drumherum ab, irgendwo nebenbei wird dann jemand verprügelt. Aber aus dem Hauptteil nehmen Sie jede Spannung heraus.
Vermeidung von Spannung bedeutet natürlich auch: Wenn es keine Spannung gibt, ist es ja auch ein Überraschungseffekt. Hitchcock hat zwar gesprochen von »the art of suspense«, aber in seinen Filmen wirkt es natürlich anders. Er hat mit der Spannung gespielt, ich spiele mit dem Entspannten. Das ist ein wichtiger Punkt: Wir haben alle die Spannung bei Hitchcock gesehen, sagen wir mal Cary Grant, wenn er die Augen aufreißt und Musik kommt – aber das alles nimmt einem ja heute nicht mehr jeder ab. Und die Weiterführung dieser Spannung ist die Entspannung. Das heißt, das, was der Kommissar Schneider macht, das ist völlig entspannt, aber trotzdem macht er Action. Das spielt sich dann in seinem Kopf ab: Da ist der und der, und dann wird der einfach gefangen genommen.
Der Kommissar kombiniert.
Er kombiniert, ja. Und erzeugt damit diese Entspannung. Aber es ist nicht so, dass es das Gegenteil von Spannung ist, sondern es ist eine Fortführung von Spannung, finde ich.
Wie wirkt sich diese Entspannung dann auf den Zuschauer aus?
Der Zuschauer freut sich. Der freut sich, dabei zu sein, wie jemand etwas macht, was er vielleicht auch gerne genauso machen würde, was aber der Alltag nicht zulässt.
Es zielt aber bei Ihnen aufs Lachen ab, und bei Hitchcock eben aufs Haare-zu-Berge-Stehen.
Dazu muss ich sagen: Haare zu Berge stehen lassen ist leicht, Lachen ist schwerer. Das war damals, zu Hitchcocks Zeiten, so, und heute ist es eigentlich noch schlimmer. Zum Gruseln zu bringen ist heute, aufgrund der technischen Mittel, einfach. Na ja: Müsste einfach sein. Aber vergleiche mal den Film Nosferatu, das Original von Murnau, schon mit dem Film von Herzog. Die Spannung in dem Schwarz-Weiß-Film, der ausschließlich mit Schatten und Licht arbeitet, das ist reines Kino: Kino ist Licht und Schatten. Bei Werner Herzog war es dann die Farbe, und die Figuren von Klaus Kinski und Isabelle Adjani, tolle Leute, aber es hat einen nicht gegruselt. Aber der Murnau, der hat die Menschen echt aus dem Kino gejagt. Und ich jage auch die Menschen aus dem Kino! Aber aus anderen Gründen...
Wie groß war in diesem Rahmen der Platz für Improvisation?
Ganz groß. Wir haben immer am Set mit der Kamera die Bilder gesucht – ich habe mich da sehr oft eingemischt und meinem Kameramann Voxi Bärenklau eine neue Vorlage gegeben, eine neue Einstellung gezeigt. Mit Voxi arbeite ich sehr gerne zusammen, weil er nicht eitel ist. Du kannst nicht mit eitlen Kameramännern arbeiten, wenn du selbst eine Idee im Kopf hast. Keiner kann in dich reingucken, und dann hast du vielleicht eine Idee, die du nicht erklären kannst. Und dann muss man einfach sagen, wir müssen es jetzt so und so machen, und hinterher sieht man dann, was damit gemeint ist. Das kann man aber nicht erklären, das ist genau wie in der Musik.
Wie lief Ihre Kinobildung ab?
Kann ich ja kurz erzählen. Also zunächst: Ich wollte Clown werden, als Kind schon. Bin dann ja auch Musiker geworden und Clown. Habe auch früh angefangen, selbst Filme zu machen, um mich darzustellen. Da stellt man die Kamera schief, legt sich ein weißes Bettlaken hin und fährt mit Skiern den Berg runter. Dazu Musik, und man singt ein Lied von Frank Sinatra. Alles Vollplayback, schwarz-weiß mit dem ersten Videoset mit einem Band, das offen lief. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, da konnte man mit den Fingern reingreifen und das auch schneiden, aber dann war alles kaputt.
Sie haben auch Stummfilme begleitet in Ihrer Anfangszeit?
Ich habe Stummfilmbegleitung gemacht, weil ich Pianist war und Orgel spielen konnte. Da habe ich viele Filme begleitet in Filminstituten, mit großen Kinoorgeln…
Haben Sie dann alles aufgesaugt, was Sie auf der Leinwand sahen?
Ich hatte da Lieblingsfilme: immer Lubitsch, Die Austernprinzessin oder Die Puppe. Natürlich auch Buster Keaton, The General, eine absolute Spitzenleistung. Dann bin ich zum Tonfilm gekommen, habe Filme vertont, Dokumentationen, Wer bezahlte für Hitler von Rainer Komers, 1983, Hitler hatte ja in Mülheim an der Ruhr und Umgebung seine Freunde gehabt, die Industriellen, die immens teilgenommen haben an der Waffenindustrie. Christoph Schlingensief hat damals bei uns Assistenz gemacht, er hat auch Material gewechselt, als ich mit Werner Nekes einen Film gemacht habe, Johnny Flash. Parallel habe ich immer eigene Filme gemacht auf Super 8. Habe mich eben immer fürs Kino interessiert, vor allem Jerry Lewis, bei dem man viel lernen kann, dann Peter Sellers, vor allem in den Blake-Edwards-Filmen, und Jacques Tati, den ich sehr verehre.
Sitzt deshalb in Ihrem Film Sergeant Smith auf einem Fahrrad?
Ja, könnte sein! Das sind alles so Überbleibsel, die im Gehirn eingebrannt sind. Es gibt viele Momente in dem Film, wo man denkt, das könnte ja von da und dort herkommen. Zum Beispiel, ich hab’s nicht bewusst gemacht, auf der Toilette, mit der Hand auf dem Duschvorhang, das könnte auch aus Psycho sein. Es gibt viele Bilder, die einen an irgendwas erinnern und dann doch wieder nicht. Wenn der Kommissar auf dem Felsen steht und in die Ferne blickt, an welchen Film könnte das denn erinnern?
Ich weiß es nicht!
An gar keinen.
Ein Zitat ohne Bezugspunkt.
Ja, es sieht aus wie ein Zitat, aber es ist nicht so. Das liegt daran: Wir haben nur Bilder gemacht, wo wir von vornherein gesagt haben: Das ist ein gutes Bild. Beim Fernsehen sieht man oft einfach, wie einer eine Treppe hochgeht. Solche Füllsel haben wir nie gemacht. Wir haben immer sozusagen Schaukästen gefilmt, in denen sich etwas abspielt. Wenn der Kommissar auf dem Felsen steht oder im Auto sitzt – das sind alles kleine Bühnen. So habe ich immer gearbeitet. Ich habe bei Laurel und Hardy abgeguckt. Oder, dafür habe ich ein besonderes Faible: FantÔmas von Louis Feuillade, 1913. Da haben wir mal im Filmmuseum Düsseldorf alle Filme gespielt, ohne Pause. Das ist das Schaukastenprinzip: Da ist die Kamera, dort ist ne Bühne, darauf sind Dick und Doof, und der eine haut dem anderen was auf den Kopf.
Die Kamera hat einfach abgefilmt, was vor ihr geschieht?
Die Kamera steht immer hier, ich bin der Beobachter. Heute geht es immer mit Steadycam um die Personen rum, dann filmst du von da hinten, das ist mir alles zu artifiziell. Der normale Zuschauer kann nur da vorne stehen und gucken. Und ich finde, unser Film ist in der Beziehung sehr gelungen.
Eine Performance für die Kamera.
Zum Beispiel die Szene beim Zahnarzt. Das ist meine Hommage an W. C. Fields, The Dentist von 1932. Das ist zwar anders aufgebaut, aber was wir gemacht haben, hat mindestens so viel Qualität. Die Zahnarztszene ist einfach gut. Die Maske vom Zahnarzt, die habe ich vom Hitlerfilm, nur ohne Bart. Ich sammel manchmal solche Sachen, da muss ich mich nochmal bei Gregor Eckstein bedanken, der die Maske gebaut hat.
Was ich bewundere: Sie sehen etwas und können es sofort umformen und ins Absurde führen. Ob das die Scheinzitate im Film sind oder eine »Wetten, dass..?«-Schilderung in einem der Romane.
Es wird in unserer Welt so viel als unheimlich wichtig verkauft, was völlig unwichtig ist. Zum Beispiel »Wetten, dass..?«, das ist ja so unheimlich wichtig. Und das nehme ich auf und bringe es in kürzester Zeit auf den Punkt, dass es überhaupt nicht mehr wichtig ist. Das ist, glaube ich, eine Qualität, die man im Alter erreicht. Wobei: Ich hab ja schon in den 70ern Hörspiele gemacht, wo eine Menge Kritik drinsteckt. Man kann es schon Gesellschaftskritik nennen, umgeformt in Humor, wo drinsteckt, was der Mensch so denkt oder was man so mitbekommt, was alle denken. Ich kann es mir leisten, darüber nachzudenken, weil ich einen tollen Beruf habe, wo ich nicht so viel arbeiten gehen muss. Ich bin zwar sehr aktiv, es ist auch sehr anstrengend, aber ich bin nicht weisungsgebunden. Deshalb kann ich darüber nachdenken, was wichtig ist und was nicht.
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