Kritik zu Unser letzter Sommer

© Farbfilm

2015
Original-Titel: 
Unser letzter Sommer
Filmstart in Deutschland: 
22.10.2015
L: 
100 Min
FSK: 
12

Deutsche Soldaten, Polen, Zweiter Weltkrieg – man denkt, man weiß, was kommt, und in Michal Rogalskis melancholisch-zurückhaltendem Drama kommt es nicht anders, aber doch auf fesselnd andere Weise

Bewertung: 5
Leserbewertung
0
Noch keine Bewertungen vorhanden

Zurückgelassene oder verlorene Kleidungsstücke und Koffer entlang der Bahnstrecke zeugen von jenen, die zum Verschwinden gebracht werden. Wenn Heizer Romek mit seinem Zug an der Verladestation ankommt, sind die aus den Viehwaggons schon weg, weitertransportiert ins Lager, selektiert in Arbeit oder Gas, Tod in jedem Fall. Wo genau diese Geschichte sich zuträgt, ist nicht festgelegt, und es ist auch egal. Irgendwo in Ostpolen an der Strecke zwischen Warschau und Treblinka im Sommer 1943; die Deutschen haben die Macht, ihre Soldaten das Sagen; es gibt einen Bahnhof, ein Dorf und ein Konzentrationslager, das man nicht sieht. Das sich aber bemerkbar macht.

Während der Pole Romek und sein Lokführer Leon mit den Zügen rangieren, das hinterbliebene Strandgut auf seine Tauglichkeit prüfen und plündern, zieht der gleichaltrige Deutsche Guido als Angehöriger der Sicherheitspolizei durch die Wälder, auf der Suche nach Entkommenen und Partisanen. Zwei 17-Jährige, die gerne nach den Mädchen schauen, die gerne Swing hören, die sich ihr Leben mutmaßlich ganz anders vorgestellt haben. Jedenfalls nicht so, wie es in diesem Sommer verläuft. Denn Guido verliebt sich in die junge Polin Franka, die im Gendarmerieposten als Küchenhilfe arbeitet, und Romek trifft im Wald auf die Jüdin Bunia, die auf der Flucht ist. Währenddessen zieht der neue Oberleutnant bei den Deutschen andere Saiten auf, und ein Trupp russischer Partisanen durchquert die Gegend.

Figurenkonstellation und Handlungsgerüst von »Unser letzter Sommer«, den Michal Rogalski nach eigenem Drehbuch als deutsch-polnische Koproduktion realisierte, muten geradezu schematisch an. Man glaubt zu wissen, was kommt, und das kommt dann auch. Und doch hat man das so noch nicht gesehen: den Verlust der Unschuld, das Ende der Hoffnung, auch: die Zurichtung zur Grausamkeit, die Vernichtung von Lebensfreude. All dies wird ersichtlich als Auswirkung der Ereignisse auf die vier jungen Menschen in deren Zentrum, es wird spürbar als Beschädigung, die sie ihr ganzes Leben lang begleiten wird. Es wird aber nicht plakativ in Szene gesetzt oder symbolhaft sichtbar gemacht. Die Charaktere sind normal, das, was sie erleben, ist nicht alltäglich – und aus der daraus resultierenden Spannung bezieht der Film eine Dramatik, die zunächst nur subkutan wirksam wird, dann aber so vehement wie gnadenlos ins Tragische umschlägt.

Mittels seines von Ruhe und Gleichmaß geprägten Inszenierungsstils präpariert Rogalski, unterstützt von der präzisen und unaufgeregten Arbeit seiner Schauspieler, den systemischen Sadismus und das tief destruktive Wesen des Naziregimes heraus. Eine Destruktivität, die hier alle erfasst und die eben nicht nur die Vernichtung der Körper zum Ziel hat, sondern die vor allem die Auslöschung der Seelen meint. Am Ende bleiben die leeren Hüllen zurück, beliebig ideologisch befüllbar, und die Verrohung der Welt ist um ein Weiteres fortgeschritten. Der Krieg wird den kleinen Ort einholen und der Holocaust nicht länger unsichtbar bleiben. Jugend kommt unter die Räder.
 

Meinung zum Thema

Kommentare

Polen 1943 ist von deutschen Truppen besetzt. Romek (Filip Piotrowicz), der Heizer auf einer Dampflok und Guido (Thomas Nay) ein deutscher Gendarm freunden sich an. Guido verliebt sich in Franka (Urszula Bogucka), eine polnische Küchenhilfe. Romek hilft einer verletzten Jüdin Bunja (Maria Semotiuk). Alle drei verbindet die Liebe zum verbotenen Jazz. Romek und Bunja werden von russischen Partisanen gefangen genommen, werden aber wieder getrennt. Guido schläft mit Franka und erhält den Befehl sie zu erschießen. Er tut es, obwohl man es nicht sieht. Man hört nur einen Schuss.
Romek zeigt den Freund seiner Mutter an und wird sein Nachfolger als Lokführer.
Symbolisch treffen sich die beiden jungen Männer irgendwann einmal: Romek mit der Lok und Guido auf einem Motorrad wie zu einer Wettfahrt. Doch Romek hat Vorfahrt.
In wechselnden Situationen ändern sich die Machtverhältnisse. Jeder der beiden scheitert letztendlich, denn der Krieg schafft wohl keine Freunde. Hier ist jeder dem anderen ein Wolf. Es gibt nicht nur die Guten oder die Bösen. Manche Gräueltaten werden nur angedeutet, die Ausführung muss man sich denken. Der Film verbessert das deutsch-polnische Verhältnis nicht, aber er verschlechtert es auch nicht. Da ist Regisseur Rogalski zu unentschlossen in seinem Filmdebüt.

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt