Kritik zu Silvi
Im Langfilmdebüt von Nico Sommer geht eine frisch geschiedene Frau in den besten Jahren auf die Suche nach einem neuen Partner
Silvi wird von ihrem Ehemann buchstäblich sitzengelassen, auf der Beifahrerseite im Auto: »Ich schlaf heut Nacht im Hotel.« Und fort ist er. Die Barschheit des Filmanfangs gibt die Tonart vor. Der 29-jährige Regisseur Nico Sommer widmet mit betontem Naturalismus nicht nur jeder Falte ausführliche Close-ups. Wenn Silvi zaghaft mit Kontaktanzeigen auf Männersuche geht und sich mit den Kandidaten an muffigen Orten trifft, wähnt man sich fast in einem Dokumentarfilm. Doch in einem Dokumentarfilm ist das Thema, um das es gehen soll, ehrlicher definiert als in dieser Beziehungstragikomödie. Denn der Filmtitel stellt eine Frau in den Mittelpunkt; eigentlich aber müsste es heißen: »Die Männer und Silvi«. Die 47-Jährige, eine attraktive Frau, dient vorrangig als Stichwortgeberin für die Porträts dreier schräger Liebhaber – ganz so, wie diese in Silvi lediglich das Instrument zur Erfüllung ihrer Fantasien sehen. Das spielt sich immer gleich ab: Nach endloser Laberei kommen die Herren auf den Punkt und sagen, was genau sie wollen. Silvi – Lina Wendel, zur Temperamentlosigkeit verdammt – hört sich das meist stumm an, sagt »Aha«, »Hm« und probiert’s halt aus.
Daran ist zunächst nichts verkehrt. Tatsächlich streift der Film mit seinen wie improvisiert wirkenden Szenen oft die Komödie. Etwa wenn der erste Liebhaber Silvi nach dem Akt aus dem Hotelzimmer komplimentiert, um Geld zu sparen, der zweite sie in Latexkostüme steckt und der dritte seinerseits eine Domina sucht. Eine psychologisch spannende Figur ist besonders Peter Trabner als geschiedener Familienvater, der Silvi überschwänglich umflattert und zugleich beunruhigend hohen Druck im Kessel demonstriert. Willkommen im Dschungel jenseits des ehelichen Reviers!
Doch als Porträt einer Frau, die nach dreißig Jahren Ehe ihr Leben neu aufstellen muss, ist diese authentizitätsheischende Sexodyssee eine Mogelpackung. Zwischen ihren Abenteuern spricht Silvi im Stil einer Videokontaktanzeige direkt in die Kamera und legt ihre Wünsche nach »Kuscheln« offen. Ihre formelhafte Ausdrucksweise korrespondiert mit weiblichen Selbstermächtigungsschlagern von Gitte Haening à la »So schön kann doch kein Mann sein«, die Silvi unterwegs im Auto hört.»Das Leben ist ein Chanson«, könnte man darauf mit Alain Resnais’ Beziehungskomödie antworten. Und wenn die Buchverkäuferin Preisreduzierungsplaketten auf Ladenhüter aufklebt, ist das wohl als Metapher gemeint.
Doch besonders im Vergleich zum chilenischen Gloria, in dem ebenfalls eine Frau im besten Alter auf die Pirsch geht, wird das Desinteresse an anderen Aspekten von Silvis Existenz deutlich. Beruf, Kinder, Freunde, Hobbys? Abgründe, Wut? Jenseits des Datings erfährt man wenig. Ein einziges Mal, wenn der Nochehemann das gemeinsame Haus verkaufen will und von ihr eine Unterschrift verlangt, wird das gerade bei Scheidungen so wichtige Thema Geld angedeutet. So amüsant Silvis Abenteuer gelegentlich sind, so sehr hat man das Gefühl, dass in der filmischen Konzeption Männer als Glücksbringer überbewertet wurden.
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