Kritik zu Das Konzert
Der franko-rumänische Regisseur Radu Mihaileanu hat nach dem Welterfolg seines zweiten Kinofilms »Zug des Lebens« (1998) sowie »Geh und lebe« (2005) nun schon seinen dritten Film über »falsche Identitäten« gedreht
Das Bolschoi-Orchester hat schon bessere Tage gesehen. Auch wenn diese – lang, lang ist’s her – in der überwundenen Epoche des alten kommunistischen Regimes zu suchen sind. Aber als vor 30 Jahren der Hardliner Leonid Breschnew die Zionisten zu Volksfeinden erklärte, ging zumindest für den international anerkannten Orchesterleiter Andrej Filipov (Alexej Guskow) eine Ära zu Ende. Er weigerte sich nämlich, seine erste Geigerin Lea und ihren Mann Yitzak zu entlassen. Der Traum, die absolute Harmonie im einzigen Violinkonzert Tschaikowskis zu suchen und zu finden, hatte sie für immer zusammengeschweißt. Das jüdische Paar kam in Sibirien um, der Dirigent wurde zum Putzmann im Bolschoi-Theater degradiert und konnte nur heimlich von der Empore aus weiterdirigieren. Aber als ihm beim Putzen zufällig ein Fax vom Pariser Théâtre du Châtelet in die Hände fällt, ergreift er blitzartig die Chance. Er wird dort in zwei Wochen mit »seinem« Bolschoi- Orchester die Philharmoniker aus San Francisco bei ihrem geplanten Konzert ersetzen. Damit ist das Signal für eine Fantasiereise gegeben, die dort anknüpft, wo die vorangehenden Filme des Regisseurs aufgehört haben. Das »falsche« Bolschoi-Orchester wird aus dem Boden gestampft und die ganze Misere der heutigen russischen Verhältnisse (und mehr) vor unseren Augen ausgebreitet.
Der in Bukarest geborene Regisseur, der vor dreißig Jahren vor der Ceausescu-Diktatur zunächst nach Israel, dann nach Frankreich flüchtete, hatte den Mut, mit seiner Holocaust- Komödie »Zug des Lebens« illustren Vorgängern wie Ernst Lubitsch nachzueifern. An der souveränen Heiterkeit und Wärme des Films prallte jeder Vorwurf einer Trivialisierung des heiklen Themas ab. »Das Konzert« zehrt nun weniger von der eigenen Biografie als von den Eindrücken, die Mihaileanu von einer Recherchereise ins heutige Moskau mitbrachte. Mit gemischten Gefühlen schaut man dem reichlich »unkultivierten« Treiben der kunterbunten Orchestermitglieder zu, die, eiligst zusammengetrommelt, in Paris ihr Unwesen treiben. Statt einer liebevollen Zeichnung schrulliger Charaktere wird man mit einem wahren Panoptikum von heruntergekommenen Gestalten konfrontiert, die alle nur vorstellbaren Klischees über Juden, Zigeuner, den versoffenen Russen und den ewig unbelehrbaren Kader bedienen. Die Absicht, die von den Verhältnissen aufgezwungene »Unkultur« unterprivilegierter oder auch neureicher Russen der verfeinerten »Kultur« des Westens gegenüberzustellen, ist zwar unübersehbar, aber mit wenig Delikatesse aufgetischt.
Erst in der Begegnung zwischen Filipov und der Solistin Anne-Marie Jacquet (Mélanie Laurent), die er eigens für das Konzert angefordert hatte und die man lange für seine in der Fremde aufgewachsene Tochter hält, findet der Film zur melodramatischen Einkehr und zu jener »absoluten Harmonie«, die als großes Versprechen von Anfang an im Raum steht. Das Ungleichgewicht des Films spiegelt zwar auch die Aufs und Abs des Lebens, die im postkommunistischen Russland besonders hohe Wellen erzeugt haben – den allzu sorglosen Umgang mit den »Opfern« entschuldigt das nicht.
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