Kritik zu Im Oktober werden Wunder wahr
Wieder so eine kleine, feine südamerikanische Entdeckung. Das Debüt der Brüder Vega, eine Komödie über Einsamkeit und Sehnsucht, hat aus Peru über Cannes den Weg in die deutschen Kinos gefunden
Alles dreht sich ums Geld. Immer wieder wandern Scheine von einer Hand in die andere, werden über Tische geschoben, in Kassetten verwahrt, gegen Pfand verliehen oder bezahlt für Waren, Informationen, Dienstleistungen. Das soziale Leben von Clemente basiert auf dem Austausch von bedrucktem Papier. Immer geben und nehmen, niemals nur geben oder nur nehmen – das ist Gesetz. So lassen sich alle Bedürfnisse regeln. Und deshalb ist für Clemente der Sex mit Prostituierten kaum aufregender als sein einsames Frühstück. Der wortkarge, misstrauische Pfandleiher lässt keine Zweifel aufkommen, wer die Regeln macht. Seine Kunden sitzen ihm auf einem grotesk niedrigen Stuhl gegenüber, zu Bittstellern degradiert.
Wie befremdlich für diesen Kontrollfreak, als er eines Tages ein Baby bei sich zu Hause findet. Einfach so liegt es in einem Korb als unerwünschtes Geschenk. Und alle Versuche, es zu ignorieren oder loszuwerden, die Mutter – eine der Prostituierten? – ausfindig zu machen, schlagen fehl. Ein nebensächliches, aber bezeichnendes Detail für die unbeirrbare Lakonie ihres Films ist die Art, wie die Spielfilm-Debütanten Daniel und Diego Vega das Baby inszenieren: Nur kurz sieht man in den Korb, auch später zeigen sie das hübsche kleine Gesicht nur momentweise.
Appelle an das Sentiment der Zuschauer, Appetizer für oberflächliche Rührung? Fehlanzeige. Eine schwer zu beschreibende, jedenfalls sanfte und beharrliche Distanz halten ihre meist in Grau- und Brauntönen gehaltenen Bilder, die sie grafisch genau austariert haben. Auch die Komik dieser Komödie ist still, melancholisch und fragil – manchmal fällt sie glatt unter die Wahrnehmungsschwelle. Doch Sätze wie »Man muss Veränderungen zulassen« können nur auf solchen Boden derart trocken fallen, dass sie alle Betulichkeit verlieren.
Worauf der Film zielt, wohin er einen mitnehmen will außer in die Straßenfluchten und Korridore, die kargen Häuser einer kränklichen Gesellschaft, das erschließt sich in all der Sprödigkeit so schwer wie das Innenleben der Protagonisten. Erst über das ebenfalls nur angedeutete Metaphysische geht die Reise weiter. Sofia, eine alternde Nachbarin Clementes und einsam wie er, hilft ihm, das Baby zu versorgen. »Ich schenke es dir«, sagt er, doch wird er beide nun nicht mehr los. Sofia zieht bei ihm ein, und die ungeplante Familie wächst auf skurrilen Wegen weiter, während Sofia Clementes Nähe sucht, betet und auf ein Wunder hofft – aber was für ein Wunder?
Während die konkrete Frage bleibt, ob Clemente sein Leben und seine Form menschlichen Austauschs ändern wird, öffnet sich mit der religiösen Sofia eine andere Ebene. Am deutlichsten und zugleich geheimnisvollsten wird sie in den Prozessionen für den »Gott der Wunder« in Szene gesetzt. Im »purpurnen Monat« Oktober ziehen Frauen mit weißen Kopftüchern in einer Weihrauchwolke hinter dem Heiligenbild des schwarzen Christus durch Lima. Der Wundergott als Gegenstück zum Pfandleiher – er gibt, ohne etwas zu verlangen. Doch erwarten Sie keine Lösung oder gar Erlösung. Die Spiritualität liegt hier wie die Komik weniger im Geschehen als im Blick.
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