Kritik zu Das bessere Leben

© Zorro

Eine Pariser Journalistin recherchiert über Studentinnen, die sich prostituieren, und verstrickt sich in ihre eigenen Projektionen und Sehnsüchte

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Seine Erzählung entfaltet der Film zunächst als Puzzle mit blinden Flecken: Journalistin Anna (Juliette Binoche) recherchiert für einen Artikel über Frauen, die ihr Studium mit Prostitution finanzieren. Dafür interviewt sie Charlotte und Alicja, die beide in ihrem Selbstbewusstsein nicht ins landläufige Bild von ausgebeuteten Prostituierten passen. Sie verdienen gut und betonen, dass sie auch Genuss aus ihrer Tätigkeit ziehen. Der Film mäandert nun in vielen sinnlichen Vignetten zwischen Annas Familienleben, den Interviews mit den beiden jüngeren Frauen und deren Begegnungen mit Freiern – sehr freizügig inszeniert, aber nicht auf platte Provokation angelegt. Annas Sehnsucht, aus ihrem Leben in der bürgerlichen Routine und den Konflikten mit Ehemann und Söhnen auszubrechen, spiegelt sich in Charlotte und Alicja. Ist deren Leben das bessere?

Malgoska Szumowska und ihre Koautorin Tyne Byrckel geben darauf ein paar einfühlsame, zunächst allzu einfach erscheinende Antworten. Trotz aller Freiheit erleben die jungen Frauen natürlich auch Erniedrigungen in ihrem Job. Und der Hintergrund ihrer Entscheidung für die Prostitution ist ein sozialer. Charlotte stammt aus der Provinz, Alicja aus Polen, beide aus einfachen Verhältnissen. Nicht die besten Voraussetzungen, um in Paris durchzustarten. Doch wenn schon der Vermieter eines bezahlbaren Apartments von der jungen Bewerberin ganz selbstverständlich Sex verlangt, warum dann nicht den Sex zur Ware machen und damit vielleicht sogar die Machtverhältnisse umkehren?

»Das bessere Leben« zeigt aus konsequent weiblicher Perspektive eine Gesellschaft, in der alles von den Gesetzen von Angebot und Nachfrage bestimmt ist und in der jede und jeder sich verkauft, ob als Prostituierte oder als Journalistin. Anna, die für die Interviews bezahlt, wird nebenbei auch zur Freierin. Wunderbar ambivalent ist das in einer isolierten, sehr langen Großaufnahme von Juliette Binoche dargestellt, in der sie Frage um Frage stellt, ohne eine Antwort zu erhalten, und dabei immer begieriger, fordernder und zugleich unsicherer wird.

Nicht zuletzt wegen der generalisierten Verschränkung der Ökonomie des Begehrens mit den Begehrlichkeiten unserer Ökonomie bleibt das konkrete Thema Prostitution recht unscharf. Doch die »Wahrheit« des Films ist doppelbödig: Seine Perspektive ist eben nicht nur weiblich, sondern individuell. Es ist Annas bürgerliche Sicht, es sind vor allem ihre Projektionen und auch ihre Moral, in deren Grenzen sich der filmische Blick bewegt und die er zur Disposition stellt. Eine der stärksten Szenen bringt das auf den Punkt: Bei einem Abendessen mit Mann und Kollegen fantasiert Anna Charlottes und Alicjas Freier an den Tisch, die sie selbst doch nie gesehen hat. Eine Fantasie, die viele andere, auf den ersten Blick realistische, Bilder zweifelhaft werden lässt. So manche Idee dieses ambitionierten Films ist allzu deutlich herausgestellt, anderes wirkt nicht konsequent ausgearbeitet. Und doch: Malgoska Szumowskas Elles, so der französische Originaltitel, ist ein in all seiner Unvollkommenheit faszinierendes Werk.

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