Kritik zu In einer besseren Welt
Susanne Biers vorletzter Film »Brothers« ist gerade in einem passablen Hollywood-Remake mit Starbesetzung angelaufen. Echter sehen die Originale aus – wie dieser Oscar-Anwärter
Die dänische Regisseurin Susanne Bier hat sich von Anfang an für Menschen interessiert, deren Leben in sicheren glücklichen Bahnen zu verlaufen scheinen, die dann jedoch mit dem Unvorhersehbaren, einem für sie schrecklichen Ereignis konfrontiert werden. In dem Dogma-Film »Open Hearts« (2002) ist sie noch vor der dänischen Haustür geblieben, weil es »die Regeln« so verlangten, aber seitdem schwärmt sie aus in ferne Länder und sucht den globalen Blick. Weniger, um ein bisschen Lokalkolorit in die blutarmen heimischen Verhältnisse zu pumpen, sondern um noch tiefer zu schürfen, um in den Kern, die Motivation menschlichen Handelns, unabhängig von Kultur oder Hautfarbe, vorzudringen. »In einer besseren Welt« beginnt in einer Bretterbude von Krankenstation in einem Flüchtlingslager irgendwo in Afrika. Später dann, auf einem dänischen Schulhof, sieht der anscheinend grundlose, sadistisch motivierte Gewaltausbruch unter Schülern gar nicht so viel anders aus als das Terrorregime eines Big Man in der Gesetzlosigkeit der afrikanischen Steppe, wo dieser – ein wahres Monster – aus reiner Freude Frauen und Kindern die Bäuche aufschlitzt.
Anton, ein »Arzt ohne Grenzen«, arbeitet dort in einer Krankenstation und wird – gleich in den ersten Filmminuten – zur Notoperation einer beinahe schon verbluteten jungen Frau geholt. Dann schwenkt der Film nach London zu einer Trauerfeier, wo der zwölfjährige Christian mit Fassung ein Gedicht für seine an Krebs verstorbene Mutter aufsagt. Zwei Kulturen, zwei Ereignisse, beide von schrecklicher Tragweite, zwei »Helden« und deren »Heldentaten«. Der Film setzt auch weiterhin auf Gegensätze, lässt weitere »Heldentaten« folgen, dividiert die beiden Protagonisten Anton und Christian, die alsbald in der Heimat aufeinandertreffen, immer weiter auseinander. Der charismatische Anton (ideal besetzt mit dem Schweden Mikael Persbrandt) ist von Beruf ein Heiler, im Privatleben ein Schlichter, der nie zurückschlägt und seinen Kindern Gewaltverzicht in Würde vorzuleben versucht. Zivilisation! Sein Sohn Elias ist ausgerechnet der Sündenbock der Schule und wird ständig drangsaliert. Für ihn spielt Christian (William Jøhnk Nielsen), frühreif, eigensinnig, verschlossen, der sich immer mehr von der Außenwelt abschottet, dabei seine eigene Gewaltphilosophie entwickelt, den Beschützer. Christian entwickelt sich zu einem kindlichen Racheengel, der richtig gefährlich wird, als er das Schwarzpulver im Schuppen entdeckt und anfängt, eine Bombe zu bauen.
Abwesende unglaubwürdige Väter, nicht mehr zuständige Mütter, eine mit falscher Toleranz agierende Schulverwaltung – viele Bausteinchen verdichten eine Filmhandlung, die ihrem Höhepunkt zustrebt, gleichzeitig jedoch versucht, die wahren Zusammenhänge aufzudecken, die Motive der Akteure zu ermitteln. Für die Lebensferne und Isolation, die große Einsamkeit Christians nach dem Verlust der Mutter steht das hoch aufragende Silogebäude, auf das er immer wieder hinaufsteigt. Dann sitzt er dort oben und spielt Gott. Aber er ist eben noch ein Kind. Die Figur erinnert zuweilen an Michael Hanekes verirrte kindliche Kinohelden, nur hier gibt es keine vergletscherte Welt, sondern Anzeichen von Hoffnung in Hülle und Fülle, man muss nur wollen. Gerade an der Figur des Anton, der manchmal wie ein Heiliger erscheint, zeigt sich, wie die Moral in einem Bier-Film (unter Zutun des hervorragenden Drehbuchautors Thomas Anders Jensen) funktioniert. Auch Anton wird nicht bis zum Schluss in Demut die andere Wange hinhalten, auch er hat gefehlt, als er sich einen Seitensprung geleistet hat, auch er ist kein Übermensch. Biers Filme sind allesamt auch Lehrstücke, die nach guten Lösungen suchen, die ein Stück heilen wollen, es aber nicht immer besser wissen.
Mit der »besseren Welt« im Titel sind wohl die westlichen Wohlstandgesellschaften gemeint, die von Rissen durchzogene zivilisierte Gesellschaft, die auch all das in sich trägt, was an dem blutrünstigen afrikanischen Warlord verabscheuungswürdig erscheint, der den Schauplatz archaischer Rituale nie verlassen hat. Man freut sich deshalb über das Happy End, das etwas Ordnung in die Irrungen und Wirrungen bringt. Mehr nicht. Deshalb sollte man sich hinter der Titelzeile auf jeden Fall ein Fragezeichen denken.
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