Kritik zu Life in a Day – Ein Tag auf unserer Erde

Trailer englisch © National Geographic

2011
Original-Titel: 
Life in a Day
Filmstart in Deutschland: 
09.06.2011
L: 
95 Min
FSK: 
6

4.500 Stunden Filmmaterial, montiert zu einer knapp 90-minütigen Chronik eines Tages

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Die Ausweitung des Internets durch immer höhere Übertragungsraten und nahezu uneingeschränkte Verfügbarkeit hat unsere visuelle Kultur nachhaltig verändert und folgerichtg auch den Begriff des Kinos unter kritische Beobachtung gestellt. Über welche Autorität und Deutungshoheit verfügt das Kino in unserer Bildkultur überhaupt noch? Was passiert mit der alten Idee vom Kino, wenn sie ihrem angestammten Bedeutungs- und Erfahrungsraum, der immer auch ein Verhältnis zwischen Betrachter und Bild konstituiert, entzieht – indem man sich Filme auf YouTube und Laptops ansieht?

Das sind nur ein paar Grundüberlegungen, die einem bei Kevin MacDonalds Dokumentation »Life in a Day« in den Sinn kommen – wobei schon der Begriff Dokumentation zumindest problematisch ist. MacDonald fungiert hier vielmehr als Arrangeur. 4.500 Stunden Filmmaterial standen ihm zur Verfügung, gedreht am 24. April 2010 von Tausenden von Menschen aus insgesamt 192 Ländern; produziert haben Ridley Scott und YouTube.

Zunächst fällt auf, dass MacDonald und Produzent Scott der Aussagekraft der Bilder selbst nicht ganz getraut zu haben scheinen. Die flott montierten Hobbyaufnahmen werden ergänzt um Passagen, die Scott mit zusätzlichen Drehteams filmen ließ. Hier prallen das Selbstverständnis von Kino und Internet vielleicht am gravierendsten aufeinander. Sie zeigen erneut den Irrtum auf, dass neue Medien sich immer aus alten, vorhergehenden herleiten lassen müssen. Diese Vorstellung bringt »Life in a Day« letztlich um die Möglichkeit, die Offenheit des World Wide Web wirklich für neue erzählerische Formen des Kinos nutzbar zu machen. Stattdessen wird die Geschichte doch wieder einem linearen Verlauf untergeordnet; wo das Material der Hobbyfilmer nicht ausreicht, muss mit traditionellen (und professionellen) Dokumentaraufnahmen Kohärenz hergestellt werden.

Dabei hat der Film durchaus schöne und berührende Momente. Der werdende Vater, der im Kreißsaal plötzlich beim Filmen ohnmächtig wird. Ein junger Mann, der seiner Angebeteten einen Heiratsantrag macht – und zurückgewiesen wird. Oder ein Koreaner, der in zwei Jahren durch über hundert Länder geradelt ist. Doch sie alle bleiben nur Momentaufnahmen; sie kommen und gehen, wie Found Footage, das einer größeren kuratorischen Idee dienen muss.

MacDonald gruppiert sein Material mehr thematisch denn assoziativ. Spektakulär sind die Aufnahmen von der letzten Love Parade, wo bei einer Massenpanik 19 Menschen erdrückt wurden. Doch sie schrammen knapp am Spekulativen vorbei, wenn sie sich später als Einleitung für eine kurze Sequenz über Gewalt herausstellen.

Wahrscheinlich ist es noch zu früh, eine profunde Reflexion über das Verhältnis der neuen Bildmedien zu erwarten. Vielleicht müssen sich die Filmemacher erst einmal austoben, um die wahren Potenziale des Internets zu erkennen. Es wäre jedenfalls wünschenswert, wenn es zukünftig nicht bloß als medialer Steinbruch herhalten müsste, um die Geschichte des Kinos fortzuschreiben.

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