Kritik zu Win Win
Was tun? In Thomas McCarthys neuem Film spielt Paul Giamatti einen Familienvater, der sich aus Geldnot eine Moralüberschreitung leistet, die unabsehbare Folgen hat, aber keinewegs nur negative
Jetzt ist die Finanzkrise also auch im amerikanischen Independentfilm angekommen. Hollywood (Wall Street 2) und der Dokumentarfilm (The Inside Job) hatten das Thema ja bereits im letzten Jahr für sich entdeckt. Das Independentkino dagegen steckt seit einer Weile selbst in der Krise. Schon länger hat es keine Impulse mehr gesetzt, und auch die letzte erwähnenswerte Strömung, die »Mumblecore «-Schule, erschöpfte sich bald in den privatistischen Selbstbetrachtungen weißer, alternativer Mittelstands-Twentysomethings. Thomas McCarthy scheint da momentan die einzige Hoffnung zu sein. Als Schauspieler wechselt er problemlos zwischen Hollywood (2012), Arthouse (Mammut) und Qualitätsfernsehen (The Wire). Win Win, seine dritte Regiearbeit, empfiehlt ihn nun endgültig als Filmemacher, der sich einen kritischen Blick auf die gesellschaftlichen Umbrüche im Amerika der Nuller Jahre bewahrt hat.
Wo McCarthys letzter Film, Ein Sommer in New York, von der ungewöhnlichen Freundschaft eines verwitweten Universitätsprofessors und eines jungen syrischen Straßenmusikers erzählte, spielt in Win Win nun Paul Giamatti den erfolglosen Kleinstadtanwalt Mike Flaherty, der zusammen mit seinem Buchhalter Stephen (Jeffrey Tambor) in seiner Freizeit eine nicht minder erfolglose Ringer- Jugendmannschaft trainiert. Dass seine Kanzlei fast pleite ist, verschweigt er seiner Frau Jackie (Amy Ryan). Das metallische Scheppern der defekten Heizungsanlage gibt den mahnenden Hintergrundsound zum langsamen Kollaps von Mikes eigenem Leben.
In dieser Situation kommt ihm der Zufall zuhilfe. Der an Parkinson erkrankte Leo (Burt Young) soll gegen seinen Willen in einem Pflegeheim untergebracht werden, nachdem die Behörden seine Tochter nicht ausfindig machen konnten. Die Aussicht auf die monatliche Pflegeprämie von 1.500 Dollar bringt Mike auf eine verrückte Idee: Er erstreitet sich vor Gericht das Sorgerecht für seinen Klienten – steckt ihn dann aber doch ins Heim. Der Plan geht so lange auf bis Kyle, der 16-jährige Enkel Leos, vor der Tür steht. Mike und Jackie nehmen ihn für einige Tage bei sich auf, als sie erfahren, dass die drogenabhängige Mutter ihren Sohn allein gelassen hat. Kyle entpuppt sich zur Überraschung Mikes als hochtalentierter Ringer, der in seiner Loser-Mannschaft schnell zum Star avanciert. Und auch Jackie findet langsam Zugang zu dem verschlosssenen Jungen. Bis eines Tages Kyles Mutter vor der Tür steht.
McCarthy erweitert mit Win Win den Krisenbegriff um die zwischenmenschlichen Beziehungen. Zerfallende Milieus interessieren ihn nicht so sehr, er ist kein per se politischer Regisseur. Win Win hat nicht den Anspruch, ein nationales Psychogramm zu entwerfen. Wie schon das Thema 9/11 in Ein Sommer in New York, liefert auch die wirtschaftliche Rezession lediglich den atmosphärischen Hintergrund. McCarthy geht es vielmehr darum zu zeigen, wie sich die Menschen mit den sich rapide wandelnden gesellschaftlichen Verhältnissen arrangieren.
Paul Giamatti ist für die Rolle Mikes genau der Richtige; er gibt nicht nur die zugleich liebenswerte und zwiespältige Verkörperung eines überforderten Familienvaters, sondern funktioniert auch bestens als personifizierte Lebenskrise des US-amerikanischen Independentkinos. Dass er nicht ohne moralische Schuld ist, stellt eine neue Qualität im dezidiert unambivalenten Kino McCarthys dar. Mike ist die erste Figur in seinen Filmen, die eine dramatische Fallhöhe besitzt. Die Vater- Sohn-Beziehung von Mike und Kyle hat von Beginn an einen Makel, sie zeigt aber auch, wie McCarthys Filme verfahren. Seine Außenseiter müssen sich zu Solidargemeinschaften zusammenraufen. Da ist zum Beispiel Mikes bester Freund Terry (Bobby Cannavale), der gerade von seiner Frau sitzengelassen wurde. Zur Ablenkung darf er sich darum in die Rolle des Co-Trainers stürzen, obwohl er vom Ringen nicht die geringste Ahnung hat. Mc- Carthy sucht in den Beziehungen der Menschen zueinander stets nach Selbstheilungskräften. Man mag dieses Krisenmanagement hoffnungslos naiv finden, aber es hat auch einen altmodischen Charme. Das prädestiniert McCarthy sicher nicht zum Retter des amerikanischen Independentkinos. Aber seine Beobachtungen sind zu genau, als dass man sein Wohlfühlkino als politisch irrelevant abtun möchte
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