Kritik zu Kaboom
Ein College-Movie der etwas anderen Art: Gregg Araki (Mysterious Skin) mixt auf äußerst hippe Weise Science-Fiction und Coming-of-Age-Story
Im amerikanischen Kino sind Highschool und College die maßgeblichen Orte jugendlicher Identitätsfindung. Nirgendwo werden die Rituale der Adoleszenz manifester als im Spannungsfeld der institutionalisierten Codes einer auf Gleichschaltung ausgerichteten Pädagogik und der mitunter erratischen Gegenstrategien einer verhalten aufkeimenden Individualität. Der oft gescholtenen Highschool- Komödie kommt als populärstem Format des klassischen Coming-of-Age-Topos die nicht zu unterschätzende Aufgabe zu, diese existenziellen Scharmützel als immer wieder neue, eingängige (und nicht zuletzt: eindeutige) Situationen und Konstellationen zu inszenieren. Das Genre häuft all die retardierenden Momente des Heranwachsens zu einem fragilen fragilen Konstrukt aus scheuen Befindlichkeiten und rampensauartigen Exzessen an. Doch auch seine subversiven Einlassungen (die von Ferris macht blau bis Superbad zum guten Ton gehören) können letztlich nicht davon ablenken, dass der »Schulfilm« der Logik einer Initiation zu folgen hat.
Das hat Gregg Araki natürlich verstanden – nur schwebt ihm, als ehemaligem Enfant terrible des New Queer Cinema, ein rite de passage zu seinen eigenen Konditionen vor. Sein neuer Film Kaboom macht in dieser Hinsicht einige praktische Vorschläge. Sex als Währung jugendlicher Identitätsstiftung ist ein zugegeben naheliegender Gedanke, nur wählt Araki mit seinen Filmen eben nicht den nahestliegenden Weg.
Smith (Thomas Dekker) zum Beispiel träumt davon, dass es ihm sein so gut gebauter wie blöder Zimmergenosse, der auch noch auf den Namen Thor hört, einmal so richtig besorgt. Das erzählt er in der Mensa seiner besten Freundin Stella (Haley Bennett), die sich gerade mit der überirdisch schönen Lorelei (Roxane Mesquida) vergnügt, welche Smith kürzlich ebenfalls in einem Traum erschienen ist. Doch Thor (Chris Zylka) schleppt jede Nacht eine andere alkoholisierte Studentin aus den unteren Semestern ab. Was ihn dennoch nicht davon abhält, an sich selbst eine Fellatio zu praktizieren (Jugend forscht!). Smith platzt etwas verdattert in diesen Schlüsselmoment von Arakis Kino, das ein einziges Spiel mit dem Polymorph- Perversen ist. Es verzichtet auf feste sexuelle Zuschreibungen oder falsche Scham, sowohl im Blick des notgeilen Smith als auch in der grotesken Akrobatik des unterbelichteten Thor. Sex bei Araki kennt kein Vor- und schon gar kein Nachspiel: Er entfaltet sich hemmungslos als großes Kontinuum der Lüste und multiplen Orgasmen.
Und als hätten die Jugendlichen mit ihren sexuellen Verwirrungen nicht schon genug zu schaffen, taucht schließlich noch eine Endzeitsekte am College auf, die sich proaktiv auf den drohenden Untergang der Welt vorbereitet. Araki lässt diesen Plot lange Zeit einfach so mitlaufen, als hätte er Kaboom als pornografische Version von Donnie Darko angelegt. Nicht nur, dass die Sektierer in Tierkostümen über den Campus laufen – auch Smiths Visionen nehmen immer bizarrere Züge an. Araki ist nach seinem Ausflug ins seriöse Fach (mit dem Pädophilendrama Mysterious Skin) also wieder ganz bei sich.
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