Kritik zu Westwind
Als der Osten noch in der Mitte Europas begann: Robert Thalheims dritter Spielfilm erzählt von der Begegnung zweier DDR-Sportlerinnen mit zwei Hamburger Jungs im Sommer 1988 in Ungarn
Sechs Jahre ist es her, dass der damalige Filmstudent Robert Thalheim mit seinem Spielfilmdebüt Netto bei deutschen Filmfestivals Preise sammelte, einer über weite Teile improvisierten Vater-Sohn-Geschichte um einen Ostberliner Arbeitslosen. 2007 folgte der Hochschulabschlussfilm Am Ende kommen Touristen, für den Thalheim aus eigenen Zivi- Arbeitserfahrungen beim KZ Auschwitz schöpfte und das Thema Vergangenheitsbewältigung ungewöhnlich konfrontativ anging. Für seinen dritten Spielfilm hat sich der Regisseur jetzt erstmals einen historischen Stoff vorgenommen und zugleich auch nach einer fremden Textvorlage inszeniert – einem Drehbuch der Autoren Ilja Haller (Wo ist Fred?) und Susann Schimk (zugleich Koproduzentin des Films), die hier auch – laut Presseinformation – eine Episode ihrer eigenen Jugend dramatisiert.
Ungarn 1988. Personal: die Ostberliner Zwillinge und Rudersportlerinnen Doreen und Isabel, deren symbiotische Beziehung während eines Sommeraufenthalts in harte Bedrängnis gerät. Anlass sind zwei junge Hamburger, die die beiden Kichermäuschen bei der Anreise zum Rudertraining am Balaton erst mit ihrem Käfer auf der Landstraße auflesen und dann mit Hartnäckigkeit und schnöseliger Aufspielerei umwerben. Die sträuben sich anfangs, auch unter Druck der Pionierlagerleitung, die Westkontakte streng untersagt. Doch bald ist die Neugier stärker, und nachts geht es aufgetakelt zur Disco über den Zaun. Und dann verliebt sich Doreen auch noch ernsthaft in Arne, den windigeren der beiden Jungs: Es ist das erste Mal in ihren jungen Leben, dass die Schwesterherzen nicht mehr im Gleichklang schwingen. Zur schweren emotionalen Kränkung für Isabel und zu disziplinarischen Verwicklungen kommt dann noch Arnes Idee, die beiden Ostlerinnen im Auto in den Westen zu schmuggeln.
Ein klassischer Coming-of-Age-Stoff also, der vom Verlust unverlierbar geglaubter Nähe und Sicherheiten berichtet – angesiedelt in einer Urlaubslandschaft, deren sommerluftige Reize samt Klampfenabenden und erzieherischen Ansprachen atmosphärisch überzeugend reproduziert werden – gedreht wurde am Originalschauplatz. Dennoch, trotz filmhandwerklicher Solidität, überzeugen vor allem Personal und dramaturgische Durchführung nicht wirklich. Schon den arg gedrechselten Sentenzen der beiden hübschen Hauptdarstellerinnen mag man – auch wegen der aufgesetzten »Urst«-ismen – nicht so recht trauen. Dazu kommen die Hamburger Jungs in ihrer Wessi- Arroganz so unsympathisch rüber, dass ihre Attraktivität kaum nachvollziehbar ist. Inszenatorisch ist das Ganze samt Musikgeklimper thalheim-ungewohnt gefällig hingesäuselt. Dabei galt das »Kleine Fernsehspiel« des ZDF, für das der Regisseur hier zum dritten Mal arbeitet, früher als Ort der Innovation. Doch die größte und substanzielle Schwäche des Films ist wohl die Entscheidung, den Film ausgerechnet dort – viel, viel zu früh – enden zu lassen, wo die wirklich packenden Geschichten erst beginnen. Mehr darf hier nicht verraten werden. Nur so viel: Seinen nächsten Film schreibt (und produziert!) Thalheim wieder selbst.
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