Kritik zu Die Maisinsel
Ein alljährlich wiederkehrendes Naturereignis hat den Georgier George Ovashvili zu seiner Geschichte über einen Großvater und seine Enkelin inspiriert: wenn Schwemmland zu Ackerland wird
Die schwimmenden Inseln gibt es tatsächlich. Jedes Frühjahr spült der Enguri fruchtbare Erde aus dem Kaukasus in die Ebene, die sich auf dem Fluss zu überschaubaren Inseln zusammenballt. Wie eine Fata Morgana erhebt sich eine Insel aus dem Nebelschleier. Es ist fester Grund und Boden, stellt der Bauer zufrieden fest. Er riecht und schmeckt sie, es ist fruchtbare Erde. Er gräbt mit den Händen, findet einen Gegenstand, eine Zigarettenspitze? – und setzt eine Markierung mit einem weißen Tuch. Am Abend rudert er wieder an Land. Am nächsten Tag kommt er wieder mit Werkzeug und Holzlatten, um eine Hütte zu bauen. Die Regie nimmt sich viel Zeit, um genau zu dokumentieren, was hier vor sich geht. Es ist wie ein Ritual. Eine Landnahme, die festgesetzten Regeln zu folgen scheint. Auf seiner dritten Fahrt bringt der Bauer seine Enkelin mit. Ein hochgewachsenes Mädchen mit einer Stoffpuppe im Arm. Bald folgt die erste gemeinsame Mahlzeit: frischer Fisch aus der Reuse. Aber schon fährt das erste Motorboot vorbei, eine Patrouille mit bewaffneten Soldaten im Kampfanzug. Erst jetzt fallen die ersten Sätze, auf Abchasisch: »Sind das Georgier? Wessen Land ist das hier?«
Viel gesprochen wird nicht. Die Arbeit des Bauern, die alltäglichen Handgriffe beim Bauen, Einrichten, Kochen, Säen erklären sich von selbst. Die vergehende Zeit zeigen die sprießenden Maispflanzen, die später wie ein schützendes Wäldchen das Blockhaus umstellen. Wie sie wächst das Mädchen zu einer jungen Frau heran. Gerade schaukelt sie noch auf den Steinen wie ein Kind, schon übernimmt sie die »Frauenarbeit« beim Fischezubereiten und wischt sich einen Blutstropfen von der Stirn, als hätte sie ihre erste Menstruation. Als sie eines Tages einen verletzten jungen georgischen Soldaten im Dickicht entdecken, entfaltet sich in zarter Andeutung eine Verliebtheit. Die Jahreszeiten vergehen, die Insel hat nur ein Jahr Zeit. Obwohl diese Inseln in Wirklichkeit von den dortigen Bauern zur Landgewinnung betrieben werden und ihr spärliches Ackerland vergrößern. Doch in der Fiktion sind die Herbststürme so mächtig, dass die Insel untergehen muss – um wieder neu zu erstehen. Der ewige Kreislauf des Lebens und der Natur.
Vom schwelenden ethnischen Konflikt zwischen Georgien und Abchasien, in den sich auch Russland einmischt, lenkt der Regisseur lieber ab. Er setzt dennoch ein deutliches Zeichen vom Einbruch kriegerischer Gewalt, die mit einer humanen Geste zurückgewiesen wird. Für ihn spricht die Natur das letzte Wort: die im Kern gute der Menschen und die der Gewalten, die Leben schaffen, es wieder vernichten, um es wieder neu erstehen zu lassen. Ihre Sprache spricht die Kamera, die von Anfang an mit auffälliger Dynamik das Eiland umkreist, als folge sie den Strömungen, als beäuge sie misstrauisch das Stück Land, das von ihr selbst geschaffen, von Menschenhand, durch die Zivilisation verändert und nutzbar gemacht und zuletzt wieder eingefordert wird. Die Schlichtheit des Films, seine sorgfältige beredte Bildsprache sagen alles. Das ist mehr als genug. Das ist ein kleines Meisterwerk.
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