Die Supernova
Manchen Reflexen darf man widerstehen. Wäre es wirklich so erstrebenswert, dass eine Ausstellung über Rainer Werner Fassbinder ihm ähnelt, sich von seinem Temperament ins Schlepptau nehmen lässt? Sie müsste eigentlich aufs Ganze gehen, keine Rücksichten nehmen. Wie die meisten Kritiker, die über die Ausstellung im Berliner Martin Gropius Bau geschrieben haben, war auch ich erst einmal irritiert von ihrer Klarheit und Ordnung. Sie wirkt so vernünftig, so aufgeräumt!
Das ist vielleicht ein Verrat, aber nicht unbedingt ein Fehler. Womöglich war der Regisseur ja nicht nur eine Naturgewalt, die in einem unbändigen Rausch der Kreativität drei, vier Filme im Jahr machte, sie überlappend schrieb, drehte, schnitt und dabei weder Schlaf noch Erfüllung fand. Einige Vitrinen in der Schau gestatten einen Blick in seine Werkstatt. Sie legen nahe, dass er ein präziser Vorbereiter, ein gut organisierter Arbeiter war. Auch die Genauigkeit kann obsessiv sein.
Ganz geheuer war mir die Besonnenheit der Präsentation nicht. Eignet sich dieser Ort wirklich für diesen Regisseur? Die Skepsis, die mich bei der Verwandlung der Pasolini-Schau im letzten Herbst beschlich (siehe den Eintrag "Der Standortfaktor" vom 16.9.), stellte sich auch diesmal ein. Damit ich wenigstens einmal ein rauschhaftes Gefühl erlebte, eilte ich beim ersten Mal in atemlosem Tempo durch die Schau. Ganz schnell, ganz flüchtig, ganz heftig wollte ich sie aufnehmen, um beim zweiten Durchgang dann an bestimmten Stellen zu verweilen. Mein Argwohn wurde besänftigt, aber nicht getilgt. Überzeugen Sie sich selbst. Bis zum 23. August haben Sie noch die Gelegenheit dazu.
Schon die Eröffnung war eine ziemlich staatstragende Angelegenheit; wenngleich sich der Vorsitzende des Kulturausschusses vertreten ließ. RWF gehört eben zum Kernbestand des, wie es im Eurokratendeutsch heißt, "immateriellen Kulturerbes". Die Schau entstand als Kooperation hochmögender Institutionen und Förderfonds. Jeder dankte jedem für die großzügige Unterstützung. Ein Großteil der Weggefährten, sofern sie nicht verstorben sind oder mit dem Bannstrahl der Fassbinder Foundation belegt wurden, hatte sich versammelt. Überhaupt war es ein Familientreffen des deutschen Kinos von Einst und Jetzt, wobei die erste Fraktion glanzvoller und zahlreicher erschienen war.
Es gab kluge (Claudia Dillmann vom Deutschen Filminstitut), pointierte (Larry Kardish vom Museum of Modern Art) und lange Reden (alle anderen) sowie eine Gesangsdarbietung von Hanna Schygulla, die das Wohlwollen des Publikums nicht nur wegen der Saal-Akustik auf eine mutwillige Probe stellte. Eine solche Kaskade andächtiger Verehrung kann auch Distanz schaffen. Aber natürlich mochte sich niemand dem Verdacht aussetzen, den einstigen Bürgerschreck domestizieren zu wollen. Aber so ganz ungewaschen und ruppig, wie man ihn aus seinen Filmen und Interviews kennt, erschien er in den Laudationes dann doch nicht. Das Staunen darüber, dass einer wie er im deutschen Kino möglich war, ist noch immer groß. Das einheimische Publikum hat seine Filme, das wird heute gern vergessen, ja auch meist mit inbrünstigem Desinteresse gestraft.
Kardish zitierte einen Bewunderer Fassbinders aus Austin, Texas: Richard Linklater, für den Fassbinder eine "Supernova, die wir alle noch immer nicht eingeholt haben" ist. Bei einem derart vorauseilenden Künstler müsste es mit der Teufel zugehen, wenn er nicht heute noch aktuell wäre. Das nachdrücklich in Versalien gesetzte "JETZT" im Ausstellungstitel ist also eine obligatorische Prämisse und zugleich kuratorische Herausforderung. Ihr stellt sich die Schau vor allem darin, in dem sie hinterfragt, ob und wie sich seine Themen und Ästhetik im Werk zeitgenössischer Künstler verlängern. Einige Beispiele fand ich triftig, andere bereiteten mir Kopfzerbrechen. Die Monumentalität der Fotografien Jeff Walls vertragen sich nicht wirklich mit der Enge, die in Fassbinders Welt herrscht. Immerhin kam mir bei diesen Betrachtungen in den Sinn, wie undeutsch Fassbinders Blick auch in dem Sinne ist, dass er an Natur und Landschaft so erstaunlich geringes Interesse nimmt.
Ein wenig besser kennenlernen kann man ihn beim Besuch der Ausstellung schon. Es gibt treffliche und kuriose Exponate (die Videosammlung, der Ablehnungsbescheid der berliner Filmhochschule), die einem den Privatmann und Künstler näher bringen. Sein Talent für tolle Filmtitel fand ich wiederum bestätigt. Der Arbeitstitel von Ich will doch nur, dass ihr mich liebt, ist auch nicht schlecht: "Ein Märchen von den Zwängen". Am Ende des zweiten Saal steht das große, in hässlichem Dunkelbraun bespannte Sofa, das er sich zusammenbauen ließ. Darauf kann eine typische Fassbinder-Szene stattfinden: Eine Gruppe von Menschen kann in alle Richtungen schauen, ohne dass sich ihre Blicke begegnen müssten. Eine klassische Fassbinder-Szene. Ein Raum ist ganz den großartigen Kostümen von Barbara Baum gewidmet, die untrüglich von sozialem Status (vor allem von dessen Verlust) erzählen Sie wird beim Deutschen Filmpreis in diesem Jahr für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Es ist mithin für Jedermann etwas dabei.
Die Ausstellung ist von verblüffender Überschaubarkeit. (Und in Frankfurt, ihrer ersten Station, soll sie tatsächlich noch kleiner gewesen sein?) Man hat sie in kurzer Zeit bewältigt. Es sei denn, man hält vor den Monitoren inne, auf denen lange Montagen von Filmausschnitten laufen, in denen ein bündiges Inventar der Stilmerkmale und Themen angelegt ist. Eindringlich führen sie vor Augen, wie komplex seine Inszenierung von Figuren und Blicken im Raum gefügt ist; soziale Ausgrenzung, erotische Ausbeutung und Machtspiele scheinen als Leitmotive auf. So ausführlich und gescheit diese Kompilationen auch sein mögen: Das Anschauen der Filme ersparen sie nicht.
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