Kritik zu Vergiss dein Ende
Mit großen Schauspielern wie Renate Krößner, Hermann Beyer und Dieter Mann erzählt Andreas Kannengießers Debütfilm vom Fall einer Demenz und den Auswirkungen auf die pflegende Familie
Das Erbe des DDR-Films ist zu reich, um bloß verwaltet zu werden. Offen ist allerdings die Frage, was genau von der DEFA tradiert werden sollte. Die geläufige Antwort verweist auf Schauspielerfilmografien, auch wenn sie sich zumeist nicht bruchlos in die Gegenwart des deutschen Kinos fortschreiben lassen. Darüber hinaus ist – abgesehen von der spezifischen erzählerischen Qualität des Werks von Andreas Dresen – vor allem die Idee einer größeren Wahrhaftigkeit, einer realistischeren Ehrlichkeit der filmischen Anordnung und ihrer Protagonisten geblieben, die sich etwa in Bernd Böhlichs Filmen (Der Mond und Andere Liebhaber, Du bist nicht allein) durch kitschig-trotzige Kleine-Leutesind- die-besseren-Menschen-Seligkeit selbst begrenzt.
Der Babelsberger Filmhochschulabsolvent Andreas Kannengießer legt mit Vergiss dein Ende nun ein Debüt vor, das empfänglich ist für eine Attribuierung als verspäteter oder letzter DEFA-Film – weil mit Renate Krößner, Hermann Beyer, Dieter Mann und Martin Seifert ausnahmslos große Schauspieler besetzt sind, die sich vor 1989 in der DDR einen Namen gemacht haben. Dass Krößner und Beyer zudem einmal ein Paar waren und ihr gemeinsamer Sohn Eugen in Vergiss dein Ende beider Sohn Heiko spielt, ist ein hübscher fait divers. Und nicht mehr, weil die Inszenierung an einem selbstreferenziellen Spiel mit dieser Konstellation kein Interesse zeigt. Dabei hätte im erkennbaren Bewusstsein über die Rückkopplungseffekte zwischen Wirklichkeit und Film auch eine Chance bestanden.
Darüber hinaus bleibt vom DEFA-Ausgangspunkt dieses Films leider kaum mehr als die Ehrlichkeitsidee, die sich hier vor allem als Mut zur Nacktheit zeigt. Den Badewannenpflegeszenen des demenzkranken und inkontinenten Klaus (Beyer) zum Beispiel fehlt es inszenatorisch an jenem Entsetzen über den Verlust eines vernunftbegabten Menschen an die Krankheit, das eine dramatische Tiefe erst möglich macht. Die bloße Schonungslosigkeit des Zeigens darf sich als filmisches Mittel nicht selbst genug sein. In der Eröffnungsszene von Heiner Carows Film Coming Out (1988) etwa erzeugte die Nüchternheit, mit der ein Krankenhausapparat das Magenauspumpen durchführt, den Kontrast, der die Verzweiflung des Selbstmörders erst sichtbar macht.
Vergiss dein Ende erzählt von den Auswirkungen der Demenz des geliebten Mannes auf die Frau, die vor den Zumutungen der Pflege flieht. Hannelore (Krößner) folgt dem Nachbarn Günther (Mann), der gerade seinen Lebensgefährten (Seifert) verloren hat, ins Ferienhaus an die Ostsee. Dass Kannengießer nicht chronologisch erzählt, sondern zwischen den verschiedenen Zeitebenen hin- und herspringt, mag dem Krankheitsbild der Demenz entsprechen; das Verfahren beraubt den Film so aber einer Vergangenheit, die hilfreich wäre, um die Figuren besser zu verstehen: Wenn sich Hannelore in den Dünen das Leben zu nehmen versucht, bleibt vage, ob der Entschluss aus der gescheiterten Befreiung durch die Flucht oder aus einer verspäteten Erschöpfung der Pflegezeit kommt.
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