Kritik zu Tuesday, After Christmas
Radu Muntean gehört zu den wichtigsten rumänischen Regisseuren der Gegenwart. Sein vierter Spielfilm, eine intime Beziehungsgeschichte, hat nun endlich auch den Weg ins deutsche Kino gefunden
In Radu Munteans »Tuesday, After Christmas« dreht sich alles um das Fest der Liebe, obwohl Festtagsstimmung nicht so recht aufkommen will. Weihnachten, das bedeutet schließlich vor allem Stress: Geschenke müssen besorgt werden, ein Baum auch, und die Familie nervt sowieso. Es liegt von Beginn an eine atmosphärische Störung in der Luft, nicht nur zwischen Paul und Adriana, bei denen sich nach über zehn Ehejahren eine gewisse Normalität eingeschliffen hat.
Muntean widmet diesen Routinen sehr viel Aufmerksamkeit. Mit großer Geduld beschreibt er die kleinen Alltagspartikel und Problemchen, die das Mittelklasseleben seiner Protagonisten durchdringen. Ihre Gespräche drehen sich meist um die neunjährige Tochter, ihre neue Zahnspange, den Klavierunterricht und ihre Verzogenheit, die durch übermäßige Geschenke noch befördert wird. Aber hinter diesem ungeheuren Pragmatismus, mit dem die erkalteten Leidenschaften wie in einem Rollenspiel alltagstauglich gemacht werden (wenn Paul seiner Frau mehr aus Pflichtgefühl die Füße massiert zum Beispiel), bahnt sich ein Drama an. Paul hat sich von seiner Familie emotional bereits entfernt; er hat eine Affäre mit der 25-jährigen Zahnärztin seiner Tochter.
Seine Arbeitsweise führt Muntean gleich in der knapp zehnminütigen Eröffnungsszene vor. Paul und seine Geliebte Raluca liegen nackt im Bett; es ist offensichtlich, dass sie gerade Sex hatten. Die fixierte Kamera erfasst ihre Oberkörper in der Horizontalen, während sie herumalbern. Sie reden über die Größe seines Schwanzes, er versucht, ihr in die Brustwarze zu beißen, darauf beschwert sie sich über sein Rauchen. So erzeugt Muntean sofort eine große Intimität, der sich auch der Zuschauer kaum entziehen kann. Visuell wirkt das oftmals eher spröde. Muntean pflegt einen bewusst uncharakteristischen, fast schon unfilmischen Stil, in dem die Kamera lediglich als Mittler fungiert. Seinen Darstellern beschert das eine enorme gestalterische Freiheit. Der Film bleibt immer nah an seinen Figuren. Doch Intimität entsteht bei Muntean nicht etwa durch Nähe, sondern durch seine fast schon an die Filme von John Cassavetes erinnernde Geduld: Da ist dieses Urvertrauen, dass Schauspieler letztlich gar nicht anders können, als menschlich zu agieren, wenn man ihnen den nötigen Raum gewährt.
Mit derselben Offenheit wird Muntean später die Szene filmen, in der Paul Adriana seine Affäre gesteht. Geschlagene zwanzig Minuten dauert sie, während die Kamera die leichten Verschiebungen im Tonfall in langen Einstellungen festhält: Wie Adrianas Schock in Enttäuschung umschlägt und schließlich in einem Wutausbruch eskaliert. Es ist eine beeindruckende Szene, von der Kamera äußerst feinfühlig bis in die kleinsten emotionalen Erschütterungen registriert: Die Sprachlosigkeit zweier Eheleute, die sich nichts mehr zu sagen hatten, schlägt um in einen Schwall aus Vorwürfen und Verachtung. Und wieder geht es nur um ihre Tochter Mara, als wären ihre Gefühle füreinander nur noch eine Erinnerung. Dass Mimi Branescu, der Paul spielt, und Adriana-Darstellerin Mirela Oprisor auch im privaten Leben ein Paar sind, verleiht dieser Tour de Force eine besondere Intensität.
Muntean erweist sich mit »Tuesday, After Christmas« als der momentan interessanteste Geschichtenerzähler des neuen rumänischen Kinos. Während jüngste Festivalerfolge wie Corneliu Porumboius »Police, Adjective« und »Die Autobiographie des Nicolae Ceauçescu« von Andrei Ujica sich an der Vergangenheit abarbeiten oder die Staatsbürokratie als Gradmesser für die Geistesverfassung einer Gesellschaft heranziehen, richtet Muntean seine Aufmerksamkeit auf die neu entstandenen bürgerlichen Milieus, die noch außerhalb eines gesellschaftlichen Diskurses stehen. Mit Paul und Adriana ist die IKEA-Generation im rumänischen Kino angekommen. Doch Muntean liegt nichts ferner, als einen Lifestyle zu diffamieren. Selbst Paul, der das Klischee des Mannes in der Midlife-Crisis in jeder Hinsicht erfüllt, bleibt eine sympathische Figur.
Das rumänische Kino befindet sich erst am Anfang einer bemerkenswerten Entwicklung. »Tuesday, After Christmas« deutet aber schon an, dass sich da eine neue gesellschaftliche Kraft formiert, die mit der Vergangenheit abgeschlossen hat. Es dürfte hochinteressant werden zu sehen, wie sich Munteans Kino entwickelt.
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