Kritik zu Der Fall Chodorkowski
Seit acht Jahren sitzt Michail Chodorkowski im Gefängnis. Der Frankfurter Cyril Tuschi versucht in seinem Dokumentarfilm, Aufstieg und Fall des Exoligarchen nachzuzeichnen
Der öffentliche Umgang mit dem Exoligarchen Michail Chodorkowski zeigt, wie weit postsowjetische und westliche Wahrnehmungsmuster auseinanderklaffen. Während der Mann deutschen Medien als Freiheitskämpfer und verfolgte Unschuld gilt, denken viele Russen so wie drei Jugendliche, die Regisseur Cyril Tuschi (SommerHundeSöhne 2004) zu Beginn seiner Dokumentation befragt: Zweien sagt der Name gar nichts, der Dritte nennt ihn – sinngemäß – einen Dieb, der Russland um viel Geld bestohlen habe.
Ganz falsch ist das wohl nicht, mag man auch den konkreten Anschuldigungen der russischen Justiz misstrauen, für deren Wahrheitsgehalt und Details sich auch der Film wenig interessiert. Stattdessen schlägt Tuschi einen Bogen von der Verhaftung 2003 zurück zu Chemiestudium und Komsomol-Karriere, aus der dem jungen Funktionär im Chaos der Umbruchsjahre grandios der Aufstieg ins kapitalistische Bankenwesen und dann ins Ölgeschäft gelang. 2000 erfolgte der erfolgreiche Relaunch vom Freibeuter zum Modellunternehmer mit philanthropischer Stiftung, politischen Ambitionen und US-Kontakten: Für die im Kreml an die Macht gelangte KGB-Fraktion eine bedrohliche Kombination.
Als Berichterstatter der Filmerzählung kommen neben – oft nach London oder Israel exilierten – Weggefährten aus der Wildost- Zeit des russischen Kapitalismus auch Mama, Sohn und Exgattin kurz zu Wort – und Joschka Fischer, der mit einem Idealismusanwurf an den Filmemacher wohl vor allem eigene Abgebrühtheit demonstrieren will. Dabei ist Idealismus für einen Filmemacher keine Schande. Doch etwas zu naiv für sein Thema ist Tuschi schon, vor allem im Umgang mit den gewieften Komplizen aus Menatep-Bank und Yukos-Zeit. Dabei geriert sich der Regisseur als investigativer Aufklärer, der seine Gesprächspartner nach Michael-Moore-Manier jagt (und sich selbst dabei gerne peinlich in den Vordergrund inszeniert). Schade nur, dass er trotz solch ausgestellter Kampfeslust die zustande gekommenen Begegnungen wenig zu kritischen Fragen nutzt. So bleiben die dubiosen Seiten von Chodorkowskis Biografie deutlich unterbelichtet: die Nähe zum Jelzin-Klüngel etwa, wo er sich als Energieminister die Gesetze selbst passend schneidern konnte. Die zentrale Open Russia Foundation, mit der sich der Oligarch in den letzten freien Jahren als öffentlicher Wohltäter präsentierte, wird nur oberflächlich vorgestellt.
Animierte Zwischenstücke mit Szenen aus Chodorkowskis Leben dienen wie die sakral-suggestive Musik Arvo Pärts der atmosphärischen Illustration. Tuschi interessiert an diesem »Fall« weniger die politisch-strukturelle als die psychologisierende Seite – und das Ziel, ein Interview mit Russlands prominentestem Gefangenen zu bekommen. Das gelingt ihm am Ende auch, im Gerichtssaal durch die Scheibe des Käfigkastens. Der Angeklagte nutzt die Gelegenheit zum Ausbau der Legende vom Märtyrer und Patrioten, der sehenden Auges der Verhaftung entgegentrat – und sich mit seinem Vertrauen in die russische Justiz irrte. Auf die letzte Frage – ob er meditiere – kommt dann doch ein recht herablassendes Lächeln. Dafür hat ein richtiger Macher eben auch im Knast keine Zeit.
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