Der gute Böse
Alan Rickman als Sonnenkönig in »Die Gärtnerin von Versailles«
Alan Rickmans Kinokarriere begann spät, aber intensiv mit der Terroristenrolle in Stirb Langsam. Sein Severus Snape war das Beste an Harry Potter.
Gelegentlich kann es reizvoll sein, sich Filme auszumalen, die es so nicht gibt. Es reicht, eine einzige Rolle in Gedanken anders zu besetzen, und schon verändert sich alles. Was wäre, wenn... Alan Rickman statt John Malkovich 1988 den Valmont in Stephen Frears' Gefährliche Liebschaften gespielt hätte? Schließlich hat Rickman den ungeheuer charmanten, aber innerlich abgestorbenen Vicomte bereits 1985 in der von der Royal Shakespeare Company herausgebrachten Uraufführung von Christopher Hamptons »Les liaisons dangereuses« gespielt und in dieser Rolle zwei Jahre später am Broadway debütiert. Es müssen unvergessliche Auftritte gewesen sein, berauschend abgründig. Lindsay Duncan, die damals als Valmonts Verbündete, die Marquise de Merteuil, mit Rickman auf der Bühne stand, hat seine einzigartige Ausstrahlung im Nachhinein so beschrieben: »Viele Leute haben das Theater erfüllt von einem Verlangen nach Sex verlassen, und die meisten von ihnen wollten ihn mit Alan Rickman haben.«
Rickmans Vicomte hat aber trotz Frears' Entscheidung für Malkovich noch Kinogeschichte geschrieben. Einer der Scouts der Traumfabrik hat den 1946 in London Geborenen in New York auf der Bühne gesehen. So hat Rickman 1988, mit 42 Jahren, seine erste Kinorolle erhalten, als Terrorist Hans Gruber in John McTiernans Stirb Langsam. Das späte Debüt hat Genregeschichte geschrieben. Schon sein erster Auftritt, der Terrorist als Mann von Welt im eleganten Mantel, ein offenes Filofax in der Hand, verströmt das Flair eines Shakespeare-Stücks. Man denkt an den eigensinnigen Coriolanus, vielleicht auch an den besessenen Richard III. Lange waren es dann Rollen wie Hans Gruber, die das Bild von Alan Rickman bestimmt haben. Dabei hat er es verstanden, diesen Figuren eine ganz besondere Aura zu verleihen. Man vergisst sie nicht, weil sie einem selbst in ihren wüsten Exzessen und ihrem Zynismus ungeheuer nah sind. Der Bann des Bösen hat bei ihnen etwas Erotisches – wie bei Valmont.
Trotzdem hat Rickman, der nur ganz selten Interviews gibt, immer wieder dagegen gekämpft, auf Schurken festgelegt zu werden. Insofern ist es Zeit, eine andere seiner frühen Filmrollen aus dem Schatten der Bösewichter zu holen: den Cellisten Jamie aus Anthony Minghellas Tragikomödie Wie verrückt und aus tiefstem Herzen. Zu Beginn dieses seltsamen Geisterfilms ist Jamie schon längere Zeit tot. Aber seine Nina (Juliet Stevenson) kommt über ihren Verlust nicht hinweg. Und so taucht Jamie plötzlich in ihrer Wohnung auf und bringt gleich noch Freunde mit. Er ist ein ganz und gar irdisches Gespenst. Rickmann gibt diesem Geist etwas ganz Alltägliches, fast schon Banales. Aber was zunächst noch beruhigend wirkte, die Gewissheit, dass der Tod eben nicht das Ende ist, hat plötzlich auch etwas Erschreckendes. Sollte es tatsächlich immer so weitergehen?
Genau in diesen menschlichen Grauzonen, in denen jedes Gefühl in sein Gegenteil umschlagen kann, ist Alan Rickman zu Hause. Auch sein Colonel Brandon in Sinn und Sinnlichkeit ist letztlich eine dieser doppelbödigen Figuren. Ein perfekter Gentleman, der sich aufopfert und schweigt. Ein Gegenentwurf zu Valmont. Und doch ist da noch etwas anderes. Man ahnt, dass Laclos' Libertin und Austens Gentleman zwei Seiten einer Medaille sind. Es ist eine Frage der Entscheidung, genau darin liegt das Geschenk des freien Willens.
Diese Kunst der Ambivalenz hat Rickman zur Idealbesetzung für den Zauberlehrer Severus Snape in den acht Harry Potter-Filmen gemacht. Der Mann mit dem langen schwarzen Mantel und den schwarzen Haaren war die reizvollste Figur im Hogwarts-Universum. Die Möglichkeit des Bösen wie auch des Guten war immer in ihm präsent, und damit auch die Ahnung, dass sich das eine nicht so einfach vom anderen trennen lässt. In Severus Snape finden sich Spuren all seiner früheren Figuren, und zugleich verweist dieser von Prinzipien angetriebene Zauberer auch schon auf Rickmans Porträt des Sonnenkönigs Louis XIV. Der König ist nur eine Nebenfigur in Die Gärtnerin von Versailles, Rickmans zweiter Regiearbeit. Und dennoch beherrscht er diesen ungewöhnlichen Kostümfilm, der gar nicht erst versucht, uns die gesellschaftlichen Spielregeln des Ancien Régime zu erklären. Rickman lässt das Fremde bestehen. Er überbrückt die Jahrhunderte nicht mit simpler Psychologie, sondern betont die nicht zu überwindende Differenz.Sascha Westphal
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