Kritik zu Monsieur Lazhar

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Der franko-kanadische Drehbuchautor und Regisseur Philippe Falardeau hält in seinem Schul- und Schulddrama den Ideologien der modernen Traumabewältigung einen sanft ironischen Spiegel vor

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Der elfjährige Simon (Émilien Néron), ein widerspenstiger Einzelgänger, verzieht sich in der Pause in die leeren Gänge seiner Grundschule. Panik bricht aus, als Simon entdeckt, dass sich die junge Lehrerin Martine  just im Klassenraum erhängt hat. Monsieur Lazhar schildert die pädagogisch-therapeutischen Rituale, mit der die Erwachsenen dem Schock begegnen. Die Kinder sollen mit Hilfe einer Psychologin wieder schlafen können und »normal« funktionieren. Doch die Betreuung wirkt wie routinierter Oberflächenschutz, sie garantiert einzig die Einhaltung gut gemeinter Standards, wie sie nicht nur am Schauplatz des Films in Montreal, sondern seit den Amokläufen von Erfurt, Winnenden und auf der norwegischen Insel Utoya auch in unseren Breiten selbstverständlich sind.

Monsieur Lazhar stellt die Frage, ob die kühle Regulation des sozialen Systems Schule die Wucht der Konfrontation mit dem ungeheuerlichen Suizid nur scheinbar bewältigt. Zu wenig nimmt die vorgebliche Behütung ernst, dass die Kinder in ihren Familien längst tiefsitzende Ängste, Vereinsamung oder Schuldgefühle kennengelernt haben.

In knappen, präzisen Dialogen entwickelt der Film die scharfen Kontraste zwischen der Wahrnehmung der Kinder und dem Bemühen des Lehrpersonals, wieder zum Alltag zurückzukehren. Für jede Auffälligkeit organisiert die Direktorin (Danielle Proulx) eine Therapie, längst hat sie mit ihren Kolleginnen die erzieherische Verantwortung an Behördenvorgaben und Experten delegiert.

In dieser Situation tritt Monsieur Lazhar (Mohamed Fellag) als neuer Lehrer der Klasse an. Der Außenseiter, in Wahrheit ein arbeitsloser, vom islamistischen Terror in seiner Heimat Algerien gezeichneter Mann, lebt seine Liebe zu Balzac und La Fontaines Fabeln vor. Der algerische Theatermann Mohamed Fellag nimmt sich der Figur dieses Fremden, der ein Hochstapler aus Überlebensmut ist, mit subtil komödiantischer Nonchalance an. Die Bildsprache des Films sieht den Alltag im Klassenzimmer aus der Augenhöhe der Kinder. Respektvoll gibt sie in Halbnaheinstellungen den Zauber wieder, der sich in Lazhars Unterricht auf den Gesichtern spiegelt.

Für ihn ist die Schule ein Ort der Freundschaft und Arbeit. Bodenhaftung attestiert ihm die Mutter von Alice (Sophie Nélisse), weil er wirklich Zugang zu ihrem Kind gefunden habe. Lazhar, der die Vorschrift nicht kennt, wagt es, einen Störer mit einem Handgriff zu mahnen, obwohl über die körperliche Züchtigung hinaus jede Berührung streng untersagt ist. Simon, den einstigen Lieblingsschüler der toten Lehrerin, plagt denn auch das Schuldgefühl, er habe sie zum Suizid getrieben, als er der Schulleitung petzte, sie habe ihn umarmt, nachdem er ihr Streit mit seinen Eltern gestanden hatte.

Das Schuldrama Monsieur Lazhar rüttelt an bornierten Maßstäben politischer Korrektheit. Es hält einem Schulbetrieb den ironischen Spiegel vor, in dem die Frauen in der Überzahl sind und lieb gewordene Vorurteile verteidigen. Monsieur Lazhar hat in seiner weißen Leitkultur kaum Zukunftschancen, obwohl er die Qualitäten französisch geprägter Kultur ideal verkörpert.

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