Kritik zu Ice Age 4 – Voll verschoben
Die Eiszeitsaga um das ultracoole Heldentrio Manny, Sid und Diego geht in die vierte Runde. Die putzig-philosophischen Urzeitviecher erleben diesmal eine aberwitzige Odyssee auf dem Ozean der Zeitlosigkeit
Die Haselnuss, wie sie verlockend in der Sonne glänzt, ist an allem schuld. Und natürlich dieses bizarre kleine Wesen, das der Nuss schnüffelnd und hechelnd auf ewig hinterherjagt. Scrat heißt das winzige, unermüdliche Wesen, und es handelt sich bei ihm um ein Urzeiteichhörnchen. In der Darstellung von Scrat steckt noch viel von der anarchischen Tradition des amerikanischen Animationskinos, eines Tex Avery etwa, wie es die Surrealisten liebten und verehrten. Erstaunlicherweise verstärkt gerade 3D den Geist dieses wilden, oft schmerzhaft anmutenden Animationsstils. Wenn Scrat bei der Jagd auf seine heiß geliebte Nuss stets in die Bredouille gerät und sein kleiner Körper dann zerquetscht, gedehnt und manchmal regelrecht atomisiert wird, entsteht so etwas wie eine verrückte, mobile Plastik. Bisweilen drohen Scrats aufgepumpte Augäpfel gar in den Zuschauerraum hineinzuexplodieren. Scrat und seine Nuss sind eine komplexe Comicparabel auf die Stupidität, aber auch die Kreativität menschlicher Gier und Willensstärke. In Ice Age 4 nun stürzt der Haselnussjunkie in einen Vulkan, landet auf dem Erdkern und führt dort ein heißes Tänzchen auf. Was oben auf der Welt nicht ohne Auswirkungen bleibt . . .
Die Ice Age-Filme leben von ihren genau und liebevoll gezeichneten Hauptfiguren, die im ersten Teil der Reihe ein Urmenschenkind retten – ganz im Stil von John Fords Three Godfathers. Ein Trio also, oft gegensätzlich, aber sich doch ergänzend, das jedem amerikanischen Genrefilm gut zu Gesicht stünde. Mammut Manny verkörpert Weisheit, Stoizismus und common sense mit einem Hauch Melancholie, Faultier Sid ist der schlaue, etwas übereifrige Underdog, und der schöne Säbelzahntiger Diego, der seine Instinkte im Griff hat, steht für eine grandiose Grenzüberschreitung. Jetzt leben die drei in einer Art multikultureller Herde, wo sie sich mit eher normalen familiären Problemen herumschlagen. Mammut Manny gefällt es nicht, dass seine Tochter Peaches allmählich flügge wird. Faultier Sid muss sich um seine zahnlose, aber überaus agile und eigensinnige Großmutter kümmern. Diese Alltagsprobleme treten in den Hintergrund, als infolge der Kontinentalverschiebung Risse im tierisch-menschlichen Paradies entstehen. Manny, Sid und Diego werden von der Herde getrennt, es verschlägt sie auf eine Eisscholle. Sie werden auf einen Ozean hinausgetrieben, der wie ein komisches Unterbewusstsein der Geschichte erscheint.
Mit Filmen wie der Ice Age-Sga veranstaltet das US-Mainstreamkino einen doch verblüffenden Remix aller nur möglichen Mythologien von Hellas bis Hollywood. Natürlich ist Mammut Manny eine flauschige Odysseus-Version, sicherlich hat Faultier Sid etwas von Jonas, der mal kurz im Bauch eines Riesenfisches verschwindet, und zweifellos ist Diego ein großartiger Frauenschwarm, ein richtiger Filmstar. Wieder steht eine unfreiwillige Reise der Erkenntnis im Mittelpunkt der Handlung, ein Trip, der das Sein der Helden verändert und ihr Bewusstsein stärkt für ein Zusammenleben mit anderen. Das Heldentrio begegnet der wilden Freibeutertruppe um Captain Gutt, die es an Farbigkeit und irrwitzigem Sadomasochismus mit allen Piraten der Karibik aufnehmen kann. Während im Kampf mit den burlesken Piraten Mammut Manny auf eine Rückkehr zu seiner Familie hofft, verliebt sich Tiger Diego in die Piratin Shira, eine weiße Tigerin, die zu den schönsten Kinofreibeuterinnen seit Jean Peters’ Piratenkönigin zu rechnen ist. Gerne hätte man noch viel mehr gesehen von dieser schönen und schwierigen Lovestory.
Gegen Ende des Films, nach unzähligen Auseinandersetzungen und Kämpfen, die mit atemberaubender 3D-Perfektion gestaltet sind und manchmal auch dem Overkill bedrohlich nahekommen, wird der Mythos einer Nationengründung angedeutet. Einer lässigen, bunt gemischten Nation der Befreiten, zu der auch eine Armee einst versklavter Hamster und ein kleiner Igel, der für einen Moment zum Held wird, gehören. Manny, Sid, Diego und all die anderen sind gewiss die sympathische Animation verschütteter amerikanischer Ideale.
Die letzten Bilder gehören spektakulär und höchst ironisch wieder dem Eichhörnchen Scrat, dem unverbesserlichen Impresario der Chaostheorie. Es landet zufällig auf Antlantis, einem Haselnussparadies, und gibt die Antwort auf die Frage, warum die Insel untergegangen ist.
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