Louverture Films: Im Namen eines Freiheitshelden
»Hale County, Tag für Tag« (2018)
Der aus »Lethal Weapon« und als »Mandela« bekannte Danny Glover fördert mit seiner Produktionsgesellschaft Louverture Films anspruchsvolle Filmprojekte abseits des klassischen Hollywoodsystems. Würdigung eines nimmermüden Aktivisten und engagierter Filme
Der altgediente Detective Roger Murtaugh hört nur mit halbem Ohr zu, als ihn ein Kollege über den Stand einer Mordermittlung unterrichtet. Ein schräger Vogel hält seine Aufmerksamkeit gefangen. Stutzerfrisur, schluffige Garderobe. Plötzlich hält der Verdächtige eine Waffe in der Hand. Murtaugh hechtet los, wird aber mit einem eleganten Hüftwurf zu Boden geschleudert. Murtaughs Reaktion: »Ich bin zu alt für diese Scheiße.« In den 1980ern wurde dieser Spruch aus dem Actionfilm »Lethal Weapon – Zwei stahlharte Profis« zeitweise zum geflügelten Wort. Der Familienvater Murtaugh war eine Paraderolle für Danny Glover, der diesen Part an der Seite von Mel Gibson noch in drei weiteren Filmen einnehmen sollte.
Ein Detail aus Teil 1, dem Überraschungserfolg des Jahres 1987, verdient Beachtung: An Roger Murtaughs Kühlschrank hängt ein kleines, von Regisseur Richard Donner auffällig ins Bild gerücktes Plakat: »Free South Africa. End Apartheid«. Bemerkenswert insofern, als das US-Publikum ebenfalls 1987, ein halbes Jahr nach dem Kinostart von »Lethal Weapon«, den Action-Star Glover von einer ganz anderen Seite erlebte. In der HBO-Produktion »Mandela« verkörperte er den gleichnamigen südafrikanischen Freiheitsaktivisten, der zu dieser Zeit noch in Haft saß. Diese schauspielerische Leistung brachte ihm eine Emmy-Nominierung ein. Weitere sollten folgen. Die Hauptrolle in »Mandela« entsprach Glovers privatem politischen Engagement, unter anderem im Trans-Africa Forum und im linksliberalen Center for Economic and Policy Research. Glover hatte ursprünglich Wirtschaft studiert; schon in dieser Zeit engagierte er sich in der Black Student Union (BSU), beteiligte sich an der Bürgerrechtsbewegung, unterhielt Kontakte zu den Black Panthers.
Als Glover 2005 mit Joslyn Barnes ein eigenes Produktionsunternehmen gründete, gab er ihm einen gewagten Namen: Louverture Films. Toussaint Louverture war ein ehemaliger haitianischer Leibeigener, der es zu Wohlstand gebracht hatte, sich dem Militär anschloss und gegen die Sklaverei eintrat. Als selbsternannter Generalgouverneur führte er Löhne für die Plantagenarbeiter ein, initiierte Handelsgespräche mit den USA und Großbritannien, schuf eine eigene Armee, später ein wichtiger Faktor im Kampf um die Befreiung von der französischen Vorherrschaft. Wenig verwunderlich also, dass das Portfolio von Louverture Films zahlreiche politische Filme umfasst. Das Team widmete sich anfangs primär der afroamerikanischen Geschichte sowie dem afrikanischen Filmschaffen. Inzwischen hat Louverture Films sein Wirkungsfeld ausgeweitet. Auf der Website des Unternehmens heißt es: »Louverture Films arbeitet mit Filmemachern und Produzenten aus der ganzen Welt und insbesondere aus dem globalen Süden zusammen und unterstützt aktiv die Beschäftigung von Darstellern und Mitarbeitern aus historisch marginalisierten Gemeinschaften in den Vereinigten Staaten.«
In Deutschland aufgeführt wurden unter anderem die Dokumentarfilme »The Black Power Mixtape 1967‒1975« (2011) und »Soundtrack for a Revolution« (2009) über die US-Bürgerrechtsbewegung und ihre Musik. Der vielfach preisgekrönte, ebenfalls dokumentarische Autorenfilm »Hale County, Tag für Tag« (2018) wurde in einigen ARD-Sendern ausgestrahlt und war zeitweise in der Arte-Mediathek verfügbar. Die wohl bekanntesten Koproduktionen von Louverture Films sind Apichatpong Weerasethakuls »Uncle Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben« (2010), »Friedhof der Könige« (2015) und »Memoria« (2021). An allen drei Titeln waren das ZDF und Arte beteiligt, ferner die Kölner Match Factory, seit 2022 ein Unternehmen des Streaming- und Produktionskonzerns Mubi.
Teresa Hoefert de Turégano ist die Förderreferentin Film beim Medienboard Berlin-Brandenburg und erläutert die Bedeutung der Beteiligung öffentlich-rechtlicher Sender: »Die Arte-Redaktion des ZDF war und ist ein wichtiger Partner in Deutschland für interessante internationale Koproduktionen. Es sind hauptsächlich, aber nicht nur die Arte-Redaktionen in Deutschland, die internationale Koproduktionen mitfinanzieren.« Mit unter anderem Arte France produzierte Louverture Films Abderrahmane Sissakos »Das Weltgericht von Bamako« (2006), in dem sich der mauretanische Filmregisseur kritisch mit der Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds und den Folgen der Globalisierung befasst. Ein kleines Kuriosum: Danny Glover übernahm einen Film-im-Film-Gastauftritt als Westernheld. »Das Weltgericht von Bamako« zählte zu den acht Filmen, die das New Yorker Lincoln Center 2021 im Rahmen einer Danny Glover-Louverture-Retrospektive zeigte.
Im Portfolio von Louverture Films finden sich Titel aus nahezu allen Teilen der Welt. »Das Salz des Meeres« (2008) ist einer der wenigen palästinensischen Spielfilme, geschrieben und inszeniert von Annemarie Jacir, die ihre Heldin Soraya von Ramallah nach Jaffa begleitet, wo ihr verstorbener Großvater ein Haus besaß, das nun von einer Israelin bewohnt – oder besetzt – wird. In Koproduktion mit der Redaktion Kleines Fernsehspiel des ZDF und mit The Match Factory entstand mit »Feuernacht« (2021) der erste fiktionale Film der salvadorianisch-mexikanischen Dokumentarfilmerin Tatiana Huezo. Er basiert auf dem Roman »Gebete für die Vermissten« (Suhrkamp) von Jennifer Clement und wird aus der Warte dreier junger Mädchen erzählt. Auch an Nadine Labakis »Capernaum – Stadt der Hoffnung« (2018) war Louverture beteiligt, eine internationale Koproduktion in arabischer Sprache mit Schauplatz Beirut, die 2018 unter anderem den Jurypreis bei den Filmfestspielen von Cannes gewann. Im selben Jahr gelangte »Angels Are Made of Light« (2018) in den Festivalzirkel, heute eine Momentaufnahme einer vergangenen Zeit. Der US-Dokumentarfilmer James Longley porträtiert, selbst die Kamera führend, eine Schulklasse in dem noch nicht von den Taliban zurückeroberten Kabul und wirft Schlaglichter auf die Geschichte des Landes.
In die Produktionssparte der intervenierenden Dokumentarfilme fällt »Shenandoah« (2012), eine Recherche über den Mord an dem mexikanischen Einwanderer Luis Ramirez und die folgenden Vertuschungsversuche durch die örtlichen Behörden. Camilla Nielssons »President« (2021) über Zimbabwes von Korruption und Gewalt bestimmte Präsidentschaftswahlen von 2018 geriet so brisant, dass er dort verboten wurde. »This Changes Everything« (2015) nach einem Drehbuch von Naomi Klein verhandelt den Klimawandel als Gelegenheit, das globale, als gescheitert eingestufte Wirtschaftssystem neu zu ordnen. »Concerning Violence« aus dem Jahr 2014 ist eine Collage über die Freiheitskämpfe afrikanischer Nationen zwischen 1966 und 1984, unterlegt mit Texten des Kolonialismuskritikers Frantz Fanon. Mit dem exilrussischen Regisseur Victor Kossakovsky produzierte Louverture in Kooperation mit Arte die essayistischen Dokumentarfilme »Aquarela« (2018) und »Gunda« (2020).
Nur eine kleine Auswahl aus Louvertures Produktionspalette, die politisch engagierte Spiel- und Dokumentarfilme, zeitkritische Dramen, Kulturdokumentationen und vereinzelt auch mal pures Unterhaltungskino umfasst. So gut wie alle Produktionen rangieren außerhalb des klassischen Hollywood-Systems, würden dort nur schwerlich Finanziers finden. Stichwort Hollywood: Danny Glover steht unerschrocken für seine Überzeugungen ein. In einem Interview sagte er: »Es kam vor, dass ich mich zu einem Thema geäußert habe und die Produzenten sich vielleicht unwohl fühlten. Aber mit fast 75 Jahren denke ich nicht mehr darüber nach.« Bisweilen trifft man ihn auch noch auf Demonstrationen. Er ist noch nicht zu alt für diesen Scheiß.
Filmauswahl
- »The Black Power Mixtape 1967‒1975« (2011) und »Angels Are Made of Light« (2018), YouTube (kostenlos)
- »Capernaum – Stadt der Hoffnung« (2018), Mubi/DVD und Blu-ray/VoD-Abruf
- »Das Salz des Meeres« (2008) und »Das Weltgericht von Bamako« (2006), filmingo
- »Feuernacht« (2021), Netflix
- »Concerning Violence« (2014), Sooner und Mediathek der Bundeszentrale für politische Bildung (kostenlos)
Zu den aktuellen Produktionen von Louverture Films gehören die Mubi-Serie »Self-Portrait as a Coffee Pot« und der Film »Nickel Boys« von RaMell Ross, der unter anderem für den Golden Globe als bestes Filmdrama nominiert ist.
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