Kritik zu Pol Pot Dancing
Was haben der Diktator und Massenmörder Pol Pot und der klassische kambodschanische Tanz miteinander zu tun? Weit mehr, als es scheint, wie der elegante Dokumentarfilm von Enrique Sánchez Lansch belegt
Pol Pot und seine »Roten Khmer« zeichneten in nur vier Jahren Terrorherrschaft Kambodscha für immer. Ein Viertel der Bevölkerung wurde zwischen 1975 und 1979 umgebracht, in einem bizarren Wüten gegen alles Moderne, gegen Intellektuelle, Kunst und Kultur. Pol Pots Programm, häufig »Steinzeitkommunismus« genannt, war ein agrarisches Utopia, das allen »einfachen« Menschen ein glückliches Leben versprach. »Wir können aber nichts für jene tun, die uns nicht folgen«, sagt der freundlich lächelnde Diktator im einzigen Interview, das er jemals einem ausländischen Sender gab.
Dieses Interview sowie weiteres faszinierendes Archivmaterial, darunter filmische Zeugnisse des kambodschanischen Königshauses vom Anfang des vergangenen Jahrhunderts, verwebt »Pol Pot Dancing« mit einer Spurensuche im heutigen Kambodscha. Es geht dabei vor allem um Chea Samy, die vor der Schreckensherrschaft Starsolistin im Tanzensemble des Königspalasts war und deren Schicksal auf erstaunliche Weise mit dem von Pol Pot verbunden ist: Chea Samy nahm einst ihren jungen Schwager Saloth Sar zu sich und zog ihn auf, als sei er ihr kleiner Bruder. Er ging auf die besten Schulen und irgendwann zum Studium nach Paris. Jahre später, Chea Samy war längst wie Millionen anderer Kambodschaner aufs Land vertrieben worden und leistete Zwangsarbeit, erkannte sie auf einem Propagandaplakat im Konterfei Pol Pots ihren eigenen kleinen Schwager wieder. Ein kaum fassbarer Schock. Denn wie war es möglich, dass aus dem kunstsinnigen Jungen der fanatische Kulturhasser und Schlächter geworden war?
Der Filmemacher Enrique Sánchez Lansch, bekannt vor allem für Musikdokumentarfilme wie »Rhythm Is It!« (2004) und »A Symphony of Noise« (2021), stellt sich gemeinsam mit der Tänzerin und Choreographin Sophiline Cheam Shapiro, Schülerin von Chea Samy, und dem jungen Tänzer Prumsodun Ok, als Sohn kambodschanischer Geflüchteter in den USA aufgewachsen, diesen Fragen. Sophilines szenische Choreographien im klassischen kambodschanischen Stil werden dabei zu den zentralen Gestaltungselementen des Films. In ihnen unternimmt sie ein Reenactment der Geschichte von Chea Samy und Pol Pot. In den berühmten Ruinen von Angkor Wat stellen die gestisch feinziselierten Tänze beispielsweise die Faszination des Neuankömmlings angesichts der königlichen Prachtentfaltung dar, dann aber auch, in harscher Choreographie, die Gewalt der Roten Khmer. Es sind beeindruckende Sequenzen, deren Eleganz den Clash zweier Welten eindringlich widerspiegelt. Eine kunstvolle Annäherung an die Traumata von Umsiedlung, Folter und Massenmord. Auch die Musik von Christoph M. Kaiser und Julian Maas setzt eindringliche Akzente, doch Momenten der Stille lässt der Film glücklicherweise ebenfalls Raum.
Was leider ein wenig kurz kommt, sind die Fragen zu Pol Pots Wandlung zum Massenmörder. Auch die befremdliche Ideologie der Roten Khmer wird leider nur angerissen. Wie konnte ihr antizivilisatorischer Furor nur so viele Anhänger finden und dann so viele Leben kosten?
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