Sky: »Turmschatten«
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Er nennt sich »Vollstrecker«, weil er angeblich nur den Willen der Mehrheit ausführt, aber in Wirklichkeit ist Ephraim Zamir Staatsanwalt, Richter und Henker in einer Person: Der deutsche Jude macht zwei Neonazis für den Tod seiner Adoptivtochter verantwortlich, und deshalb sollen sie sterben. Ein Livestream überträgt den »Prozess« im Internet, ein Privatsender sorgt für noch mehr Reichweite: Zamir zählt die Anklagepunkte auf, die beiden können sich verteidigen, das Volk stimmt ab. Die Sache hat jedoch einen gewaltigen Haken: Die Männer repräsentieren in der Tat ein Deutschland, wie es dunkler kaum sein könnte, aber Esther haben sie nicht auf dem Gewissen.
Die Serie basiert auf Peter Grandls komplexem Roman »Turmschatten« (Piper Verlag), der Autor hat die Vorlage gemeinsam mit Christian Limmer adaptiert; Hannu Salonen hat das Drehbuch mit enormer Intensität umgesetzt. Ihre Spannung verdanken die sechs Folgen neben der fesselnden Handlung vor allem der preiswürdigen Bildgestaltung (Felix Cramer). Endgültig zu einer herausragenden Produktion wird die Serie durch die Besetzung. Sie hat entscheidenden Anteil daran, dass die beiden zentralen Figuren nicht eindeutig gut oder böse sind. Heiner Lauterbach verkörpert den früheren Mossad-Agenten Zamir als leibhaftigen »Zorn Gottes«. Seine Motive sind nachvollziehbar, aber der Mann ist ein kaltblütiger Killer. Klaus Steinbacher wiederum, ganz famos als Franz Beckenbauer in dem Sky-Film »Der Kaiser« (2022), suggeriert mit seinem Spiel geradezu die Hoffnung, Karl Rieger möge sich als potenzieller Aussteiger erweisen.
Der Roman spielt 2010. Limmer (»Oktoberfest 1900«) und Grandl haben die Handlung ins Jahr 2005 vorverlegt; andernfalls wäre es wenig glaubwürdig, dass Zamir, der als Kind den Holocaust überlebt hat, fit genug ist, um die beiden Neonazis zu überwältigen. Geschickt platzierte Rückblenden erklären die Motive der Figuren. Zamir war an der »Zorn Gottes« genannten Vergeltungsaktion für die palästinensischen Morde während der Olympischen Spiele 1972 in München beteiligt. Eine weitere wichtige Rolle spielt der Handlungsort: Der Ex-Agent lebt in einem äußerlich mittelalterlich anmutenden Turm, bei dem es sich in Wirklichkeit um einen Hochbunker handelt; das eigens für die Dreharbeiten errichtete Bauwerk ist die reinste Festung. Während sich die Polizei (repräsentiert durch Murathan Muslu und Anja Herden) noch fragt, wie sie den Turm stürmen kann, ergreift eine junge Fernsehjournalistin (Sina Reiß) die Chance ihres Lebens und hält das Land mit ihrem Livebericht in Atem; derweil wird ihre erfahrene Studiokollegin (Désirée Nosbusch) vom Senderchef zurückgepfiffen, als sie einem nationalistischen Stadtrat (Michael Roll) allzu unbequeme Fragen stellt. Jenseits der politischen Ebene ist »Turmschatten« vorzüglich gemachtes Spannungsfernsehen; und natürlich spitzt sich die Lage gegen Ende zu, als die Polizei die Geiselnahme bei Nacht und Nebel mit einer gewagten Aktion beenden will.
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