Nahaufnahme von Anja Plaschg
Anja Plaschg in »Des Teufels Bad« (2024). © Ulrich Seidl Filmproduktion / Heimat Film
Anja Plaschg spielt in »Des Teufels Bad« eine junge Frau, die an der Enge einer bäuerlichen, von Tabus und Ritualen geprägten Gesellschaft zerbricht. Die düstere Eindringlichkeit, mit der sie ihre Rolle interpretiert, spiegelt sich auch in ihrer Arbeit als Musikerin
Agnes ist noch jung, aber das von harter Arbeit und einem rigorosen Katholizismus geprägte Leben Mitte des 18. Jahrhunderts hat deutliche Spuren in ihren Zügen und auf ihrem Körper hinterlassen. Noch schwerer wiegen allerdings die Verletzungen ihrer Seele und ihrer Psyche. Sie haben die kinderlose Frau eines Bauern und Fischers zu einer Tat maßloser Verzweiflung getrieben, zu einem Mord, der ebenso sinnlos wie konsequent war. Nun ist das ersehnte Urteil über sie gesprochen. In einem weißen Gewand, das ebenso gut Brautkleid wie Taufgewand sein könnte, kniet sie auf dem Steinboden der Festung, in der sie auf die Vollstreckung der Todesstrafe wartet.
Über Agnes erhebt sich ein Beichtstuhl, dessen Holzgitter Schatten auf ihr Gesicht wirft. Es ist ihre letzte Beichte, und sie gesteht alles, die kleinen Dinge wie ihre Abneigung gegen ihre Schwiegermutter und das Unvorstellbare, den kaltblütigen und doch von Wahn getriebenen Mord an einem Jungen. In ihren Worten liegen Verzweiflung und Flehen, unvorstellbarer Schmerz und brennende Hoffnung, Reue und letztlich auch ein Rest von Kalkül. Als der Priester schließlich die ersehnten Worte spricht, »ego te absolvo . . .«, verliert sie endgültig die Kontrolle über sich und ihren Körper. Alles bricht aus ihr heraus, wird Schrei und Schluchzen, Krampf und Entrückung.
Dramaturgisch betrachtet markiert Agnes' Beichte den Höhepunkt von Veronika Franz' und Severin Fialas düsterem Historiendrama »Des Teufels Bad«. Alles steuert auf diesen Moment zu, auf diese unfassbare Eruption komplexer, teils auch widersprüchlicher Emotionen. Es ist der Augenblick, in dem Agnes errettet wird und der Tod den größten Triumph über das Leben feiert. Aber Anja Plaschgs Spiel, dieses rückhaltlose, gänzlich ungeschützte Aufgehen in ihrer Rolle, scheint die innere Logik des Films zu sprengen und zu transzendieren. Aus der Intensität, mit der sie dem Leiden und der Reue, dem Wunsch nach Erlösung und der Sehnsucht nach Auslöschung mit jedem Wort und jeder Faser ihres Körpers Ausdruck verleiht, erwächst ein eigenes Kunstwerk, eines, das durchaus für sich stehen kann. Ein Kunstwerk, in dem das Leid und der Schmerz einer einzelnen Frau zu einem universellen Zeugnis menschlicher Pein und Qual werden.
Plaschgs Spiel ruft auf eindringlichste Weise »Ecce homo« und reiht sich damit in die Tradition einer christlich geprägten Kunst ein. Nur erweitert ihr »Siehe, der Mensch« die Darstellung des Leidens um eine dezidiert weibliche Perspektive. In Interviews zu »Des Teufels Bad« und ihrem Spiel hat die 1990 im steierischen Gnas geborene Schauspielerin und Musikerin, die unter ihrem Alias Soap&Skin bisher drei Studioalben und den Soundtrack zu »Des Teufels Bad« veröffentlicht hat, immer wieder betont, wie groß der Einfluss der katholischen Kirche auf ihr Leben ist. Dieser Einfluss und ihre Erfahrungen mit von Depressionen geplagten Verwandten prägen Anja Plaschgs Darstellung der depressiven und todessehnsüchtigen Agnes. Dabei reicht ihr Porträt einer jungen Frau, die ihren Platz in der Enge der bäuerlichen Gemeinschaft nicht finden kann und damit auch keinerlei Halt in ihrem Leben hat, weit über den historischen Fall hinaus, auf den sich Veronika Franz und Severin Fiala mit ihrem Film berufen.
In einem ihrer Interviews hat Anja Plaschg die These vertreten, dass Agnes in der heutigen Welt Künstlerin geworden wäre. Dieser Gedanke durchdringt ihre Sicht auf diese Rolle. Schon zu Beginn des Films, als Agnes sich einen Brautkranz aus dünnen Zweigen und Blüten flechtet, wirkt es, als arbeite sie an einem Kunstwerk, in dessen Zusammenspiel aus dunklem Holz und kräftigen roten Blüten sich ihr Inneres offenbart. Später wird Agnes immer wieder ein Loblied auf Maria, die Mutter Gottes, anstimmen. Jedes Mal klingt es anders. Mal hat ihre Intonation etwas sehnsuchtsvoll Flehendes, mal klingen die simplen Zeilen wie ein Gebet, und in dem Moment ganz kurz vor ihrem Tod durch das Beil des Scharfrichters strahlt ihr Gesang eine tröstliche Ruhe aus. Anja Plaschgs Stimme offenbart Agnes' Innerstes und verwandelt ihre Gefühle in Kunst.
Eigentlich könnte ihre Darstellung der Agnes kaum weiter von der einzigen anderen Film-Hauptrolle entfernt sein, die Anja Plaschg bisher gespielt hat. »Die Geträumten« (2016), Ruth Beckermanns fast schon asketische Annäherung an den Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Anja Plaschg und Laurence Rupp stehen einfach vor zwei Mikrofonen im Studio 3 des damals noch vom ORF genutzten Funkhauses Wien in der Argentinierstraße. Sie lesen die Briefe und Gedichte dieses in Liebe und gegenseitigen Verletzungen miteinander verbundenen Paares und bleiben dabei Sprecher, die Ingeborg Bachmanns und Paul Celans Worte wie Musiker eine Partitur interpretieren. Es geht in keinem Moment des Films um Identifikation.
Die Distanz zwischen Anja Plaschg und Laurence Rupp auf der einen Seite und Bachmann und Celan auf der anderen ist das zentrale Stilmittel in Ruth Beckermanns ständig zwischen Dokumentation, Essay und Spielfilm hin und her changierendem Werk. Eine Distanz, die noch durch kurze szenische Pausen verstärkt wird. Szenen, in denen Plaschg und Rupp rauchen, sich über die Texte, die sie sprechen, austauschen oder sich in einem anderen größeren Studio eine Orchesterprobe zu Wolfgang Rihms »Die Eroberung von Mexiko« ansehen. In diesen Momenten sind die beiden ganz bei sich und offenbaren nicht nur ihre Sicht auf die von ihnen gelesenen Texte. Ruth Beckermann gibt ihnen vielmehr die Gelegenheit, ihre persönliche Sicht auf die Welt und auf die Produktion von Kunst zu reflektieren.
In Anja Plaschgs Kommentaren zu den Orchestermusikerinnen und -musikern, die gerade eine Interpretation von Wolfgang Rihms Komposition proben, wird ihr anerkennender, aber zugleich auch sehr kritischer Blick auf Künstlerinnen und Künstler deutlich, die nur die Werke anderer ›interpretieren‹. In gewisser Weise spricht sie in diesem Augenblick auch über sich und ihr eigenes Schaffen. Als Soap & Skin hat sie immer wieder Songs anderer Künstlerinnen und Künstler aufgenommen. So erscheint wenige Wochen nach dem Kinostart von »Des Teufels Bad« mit »Torso« nach sechs Jahren erstmals wieder ein neues Studioalbum von ihr, ein Album nur mit Coverversionen. Aber es gelingt ihr dabei jedes Mal, sich das fremde Material ganz und gar anzueignen. Davon zeugt auch Sebastian Meises Spielfilm »Stillleben« (2011), in dem Anja Plaschg einen ganz kleinen Auftritt als Prostituierte hat. Für den Abspann von Stillleben hat sie »Voyage Voyage« gecovert, Desireless' Sommerhit aus dem Jahr 1986, der auch im Film erklingt. Bei Anja Plaschgs Version denkt man erst, es sei ein ganz anderer Song. Von der Leichtigkeit, der hoffnungsfrohen Aufbruchs- und Reisestimmung des Originals ist bei Soap&Skin nichts mehr zu spüren. Sie verwandelt diesen luftigen französischen Popsong in eine schwarzromantische Beschwörung einer düsteren, letztlich auch quälenden Sehnsucht nach Freiheit und Errettung, die doch unerreichbar bleiben. Diese Art der bedingungslosen Aneignung, die jeden Song und jede Filmrolle in einen Ausdruck der eigenen Persönlichkeit verwandelt und in diesem Eigenen doch etwas Grundlegendes, über das rein Persönliche Hinausweisendes, spiegelt, ist der Kern von Plaschgs Schaffen. Ihre Songs, die immer wieder als Soundtrack für Filme und Theaterinszenierungen dienten, oder auch ihre Filmauftritte kreisen zwar meist um zerstörerische Emotionen und Obsessionen. Aber sie bannen die von ihnen heraufbeschworenen Dämonen auch. Insofern hat Anja Plaschg vollkommen recht. Im frühen 21. Jahrhundert hätte Agnes keineswegs zur Mörderin werden müssen. Sie hätte ihre Rettung in der Kunst finden können.
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