Kritik zu Im Nebel
Der Dokumentarfilmer Sergei Loznitsa gewann mit seiner zweiten Spielfilmregie, einer Adaption eines Vasili-Bykov-Romans, in Cannes dieses Jahr den Preis der Filmkritik
Nennt man Sergej Loznitsas Film ein Kriegsdrama, dann erzeugt man sofort die ersten Missverständnisse. Denn Im Nebel entzieht sich dramatischen Effekten und zeigt nur wenige typische Kriegsbilder. Das Jahr 1942, Partisanenkampf und Kollaboration im von der Wehrmacht besetzten Weißrussland bilden den Hintergrund für seine Meditation über die moralischen Ausweglosigkeiten des Krieges. Ganz anders als etwa Elem Klimovs Komm und Sieh (1985) oder – wesentlich oberflächlicher – Edward Zwicks Defiance (2008), die die Schrecken jener Zeit mit großer audiovisueller Macht rekonstruierten, geschehen die Grausamkeiten bei Loznitsa fast ausnahmslos außerhalb des Blickfeldes.
Im Nebel, basierend auf einem Roman des Kriegsveteranen Vasili Bykov, ist ein intimer Film, in aufreizend langen Einstellungen erzählt – eine strenge, spröde Komposition, die weniger an Affekten denn an gedanklicher Durchdringung ihres Themas interessiert ist. Am Beginn steht eine aufwendige Plansequenz, die noch am ehesten die Erwartungen an einen »panoramatischen« Blick auf den Krieg erfüllt, um diesen sogleich eine Absage zu erteilen: Deutsche Soldaten führen als Partisanen Verdächtigte zum Galgen, doch vor der Hinrichtung wendet sich die Kamera ab und verweilt auf einem Haufen Tierknochen neben einer Schlachterei. Von den Deutschen ebenfalls festgenommen, dann aber wieder freigelassen wurde Sushenya. In der Logik der Partisanen lässt dies nur einen Schluss zu: Er ist ein Verräter.
So wird er kurz darauf von zwei Männern, Burov und Wojtik, abgeholt, um nun von diesen exekutiert zu werden. Schicksalsergeben folgt Sushenya ihnen in den Wald. Als er sein eigenes Grab ausgehoben hat, bittet er seinen Henker: »Schaufle es nachher bitte ordentlich wieder zu.« Doch zur Erschießung kommt es nicht, stattdessen wird Burov von einem Schuss aus dem Dunkeln schwer verwundet. Fortan schleppen Sushenya und Wojtik den Verletzten durch den Wald, dessen Geräusche, Farben und Undurchdringlichkeit die Atmosphäre des Films beherrschen.
Wie bereits in Loznitsas vorigem Film Mein Glück hat die Geschichte parabelhaften Charakter. Mit Sushenya steht abermals ein scheinbar naiver Mensch im Zentrum. Doch während mehrere Rückblenden die Vorgeschichten der drei Protagonisten beleuchten, erschließt sich seine Resignation als der Endpunkt eines schweren Erkenntnisprozesses.
Leider legt besonders der Charakter von Sushenya den Schematismus der Geschichte offen: In seiner unverbrüchlichen Aufrichtigkeit, Anteilnahme und Würde ist er zum Märtyrer überhöht, und auch Burov und Wojtik tragen, wenn auch weniger ausgeprägt, prototypische Züge. Dennoch gelingt Loznitsa ein prägnantes Bild vom Krieg als einem Nebel, in dem alltägliche Irrtümer und lächerliche Zufälle über Leben und Tod entscheiden. Jenem klassischen Zwiespalt des Antikriegsfilms – den Krieg zu verurteilen, zugleich aber in seine Bilder verliebt zu sein – entgeht Im Nebel durch philosophische Strenge. Und in der Beharrlichkeit, mit der er die ethischen Konsequenzen des Kriegszustands reflektiert, liegt auch seine Dramatik.
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