Kritik zu Mit einem Tiger schlafen

© Arsenal Filmverleih

2024
Original-Titel: 
Mit einem Tiger schlafen
Filmstart in Deutschland: 
23.05.2024
L: 
107 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Mit Birgit Minichmayr in der Hauptrolle porträtiert Anja Salomonowitz in ihrem Biopic die 2014 verstorbene Malerin und Medienkünstlerin Maria Lassnig

Bewertung: 4
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»Solange man jemanden abmalen kann, muss man nicht verhungern.« Das steckt »Mutting« (Johanna Orsini-­Rosenberg) ihrer Tochter Maria Lassnig (Birgit Minichmayr), die später eine der wichtigsten Künstlerinnen Österreichs wird. Sehr viel später allerdings. Und »Verhungern« klingt fast euphemistisch: Zeit ihres Lebens, das zeigt Anja Salomonowitz' grimmiges Biopic »Mit einem Tiger schlafen«, hatte die 2014 verstorbene Malerin und Medienkünstlerin Lassnig zu kämpfen – gegen ihre Herkunft, die misogyne Gesellschaft, ignorante »Kunstverständige«, den Kunstbetrieb, vor allem aber gegen altbekannte innere Dämonen.

»Body Awareness«, diesen Begriff prägte Lassnig lange vor der feministischen Body Art der 70er. Salomonowitz' frei durch unterschiedliche Zeitebenen mäandernder Film zeigt eine gallige, radikal egozentrische und dabei enorm konsequente Frau, deren Körperhülle eine überwindbare Grenze darstellt. »Ich bin auch innen«, sagt sie irgendwann zu einer Nachbarstochter, zu der sie – mittellos ohne warmes Wasser – zum Baden kommt. Salomonowitz nähert sich Lassnigs einzigartigen, meist großformatigen, bunt-expressionistischen (Selbst)Bildern, indem sie Minichmayr als Lassnig die eigene »Hülle« entdecken und erweitern lässt. Wie Lassnig, oft in Unterwäsche, konzentriert und krumm vor der leeren Leinwand auf einem Stuhl sitzt und sich geräuschintensiv über die Beine streicht; wie sie meisterlich Farben mischt; wie sie sich – bewusst oder unbewusst – über die Jahrzehnte immer wieder in den intensiven Nuancen der Bilder kleidet; wie sie auf dem Boden liegt und ihr ­Inneres per Pinsel auf das Blatt neben ihr (aus)drückt – all das ergibt das umfängliche Porträt einer Frau, die es nicht leicht hat, weil sie mindestens so komplex ist wie die Welt, die sie umgibt.

Durch biografische Schnipsel – das düstere Holzhäuschen im Kärntner Hinterland, die Wiener Kunsthochschule, Paris, New York, wo ihre Bilder als »morbide« abgestempelt werden, der Tod der distanzierten Mutter, der sie aufrührt und inspiriert – schlurft Minichmayr souverän mit Brille und meist verstimmter Laune hindurch. »Ob ich mich wegen meiner Vergangenheit scheue, die braune Farbe zu verwenden?«, lässt Salomonowitz ihre Protagonistin fragen, die während des Nationalsozialismus als angepasst galt, danach jedoch Schwierigkeiten mit ihren »entarteten« Werken bekam. 

Hübsche inszenatorische Ideen bereichern die Geschichte – nach einer Ausstellung, die Lassnig mit ihrem damaligen Liebhaber, dem schnell viel erfolgreicheren Arnulf Rainer (Oskar Haag), ausrichtet, hilft eine Ameisenarmee der stets einsam wirkenden Malerin, ihre Bilder nach Hause zu transportieren.

Dass Lassnig am Ende doch noch Weltruhm vergönnt ist, kann sie nicht mehr in ein Sonneküken verwandeln. Als sie bei einer ihr gewidmeten großen Werkschau endlich mal recht zufrieden scheint (obwohl die Landsmännin und formale Konkurrentin Valie Export nebenan zu viel Aufmerksamkeit wegschluckt), verneint sie eine Gesprächsanfrage mit den Worten »I only give depressed interviews«. So wird der Film seinem Sujet in seiner bildhaften Bitterkeit gerecht.

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