Kritik zu Lützerath – gemeinsam für ein gutes Leben
Der Dokumentarfilm zeigt eine in der Debatte oft unterbelichtete Seite des Klimaprotests: wie Aktivisten demokratische, nachhaltige Strukturen erproben
Geländebesetzungen als Maßnahmen des zivilen Widerstands hat es in der Bundesrepublik immer mal gegeben, aber in den letzten Jahren haben sie dem Dokumentarfilm ein neues Subgenre beschert: den »Hüttendorf-Film«. Und es ist spannend, diese Produktionen in der Reihenfolge der historischen Entwicklung anzuschauen: den für den Filmpreis nominierten »Vergiss Meyn Nicht« über die Auseinandersetzungen um den Hambacher Forst 2018, »Die Autobahn – Kampf um die A 49« über die Proteste im hessischen Dannenröder Forst 2020 und schließlich »Lützerath – gemeinsam für ein gutes Leben«, für den Carmen Eckhardt und Gerardo Milsztein 20 Monate lang, bis zur Jahreswende 22/23, den Kampf gegen die Ausweitung des Braunkohletagebaus Garzweiler II durch den RWE-Konzern (»Our energy for a sustainable life«) begleitet haben.
Während Frank Marten Pfeiffer und Klaus Stern in »Die Autobahn« auch Befürworter des Shortcuts durch einen 250 Jahre alten Dauerwald interviewen, ist in »Lützerath« von Anfang an klar, dass es in diesem Fall keine zwei Seiten gibt. Schließlich wurde das Dorf, in dem am Ende nur noch wenige Menschen lebten, nicht zuletzt deshalb zum Symbol der Klimabewegung, weil der Deal zwischen RWE, Landesregierung und Bund so offensichtlich »toxisch« war, wie eine Wissenschaftsredakteurin des »Spiegel« im Januar dieses Jahres resümierte. Eckhardt und Milsztein interessieren sich vor allem für die Aktivisten und ihr »utopisches« Projekt: das Protestcamp als soziales Labor, im Zentrum eines Bündnisses von Betroffenen – vertreten durch den Bauern Eckardt Heukamp, der gegen die Enteignung seines Grundstücks geklagt hat –, kirchlichen Gruppen, deutscher und globaler Klimabewegung.
Die Dokumentarfilmer haben sich als diskrete Rechercheure unter die jungen Menschen gemischt, die auf Wiesen und in einem kleinen Wäldchen Hütten, Tripods und Traversen errichten. Manche Bilder scheinen sich von selbst zu ergeben: das Grau und Ocker der gigantischen Grube gegen das Grün der Kulturlandschaft, eine Schafherde, die an der scharfen Abbruchkante grast. Anfangs ist es Sommer, es herrscht Aufbruchsstimmung. Man sieht, wie man »aus ganz wenig ganz viel machen kann«, wie einer der Aktivisten sagt. Zelte werden aufgebaut, rohe Baumstämme geglättet, das Küchenteam bereitet Hunderte Mahlzeiten vor (jeder zahlt, was er kann), Umgang mit der Presse wird geübt. So ziemlich alle hier sind ungelernte Kräfte – skill sharing lautet das Wort der Stunde. Man spürt die Energie in diesem Projekt. Und erfährt, was die jungen Aktivist*innen umtreibt: die Idee eines voraussetzungslos solidarischen Miteinanders, die Erfahrung von Selbstwirksamkeit.
Am Ende ist es kalt, Reif überzieht die Zelte. Kirche und Dorf sind geräumt, Bagger und Polizeieinheiten fräsen sich durch den Wald. Ein paar junge Leute sitzen noch in einem Baumhaus, eine ist im Lock-on, hat sich an einen Betonblock gekettet, jemand hält ihre Hand. Und aus dem Radio kommt Wagner: »Wotans Abschied«. Absurd? Das Pathos scheint der Situation tatsächlich angemessen. Es sind Gesellschaftsentwürfe, die unter Einsatz von Leib und Leben hier verhandelt wurden, an der Bruchkante von Lützerath.
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