Apple TV+: »Criminal Record«

»Criminal Record« (Serie, 2023). © Apple TV+

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Wenn Zwiebeln bluten

Die 999 ist eine Notrufnummer. Häufig melden sich hier Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt sind. Detective Sergeant June Lenker (Cush Jumbo), eine Beamtin der Londoner Polizei, befasst sich mit der Aufzeichnung eines rätselhaften Anrufs, der auf dieser Leitung einging. Eine anonym bleibende Frau erklärt, ihr Freund habe einen Mord verübt, für den ein anderer unschuldig hinter Gittern sitzt. Und das seit 2012. Zweifel an ihrer Aussage sind kaum möglich: Die Anruferin nennt präzise Details des Falles. Sie weiß, wo der Unschuldige einsitzt und zu wie viel Jahren er verurteilt wurde. Ihr Freund sei noch in Besitz der Tatwaffe – mit der er auch sie zu ermorden versucht habe.

Auf den ersten Blick scheint die AppleTV+ Produktion »Criminal Record« ein eher konventionelles Crime-Drama zu sein. Es geht um eine Polizistin inmitten eines verschachtelten Plots, garniert mit Verfolgungsjagden und Gewalt. Ein kleiner Junge, der eben noch sein Eis schleckt, wird eiskalt niedergeschossen. Die aus seinem Schädel herausoperierte Kugel fällt, pling, in die bereitgestellte Metallschale. Nichts Neues, scheinbar.

Auf den zweiten Blick eröffnen sich andere Perspektiven. So wurde der Achtteiler koproduziert von dem charismatischen britischen Darsteller Peter Capaldi, der als June Lenkers Gegenspieler Daniel Hegarty Akzente setzt. Er war es, der den offenbar Unschuldigen seinerzeit hinter Gitter brachte. Der gewiefte Polizist ist nicht amüsiert darüber, dass June ihm einen fatalen Fehler nachzuweisen versucht. Das altbekannte Motiv des aufrechten Ermittlers, der einem korrupten Kollegen das Handwerk zu legen versucht, wird in »Criminal Record« sehenswert variiert. So hält das auf eine zweite Staffel abzielende Ende einen überraschenden Twist bereit.

Der Achtteiler überzeugt nicht nur durch den für Apple gewohnt hohen Produktionsstandard. Innenräume werden nahezu hypnotisch präzise ausgeleuchtet. Straßenzüge in London muten zuweilen an wie Gemälde – ohne dabei pittoresk zu erscheinen. Vor allem aber interessiert sich die Serie für ihre zahlreichen Nebenfiguren aus dem migrantischen Milieu. Darunter auch das Schicksal des unschuldig verurteilten Errol (Tom Moutchi) und dessen Sohn (Rasaq Kukoyi). Über ein Jahrzehnt hasste er seinen Vater grundlos, weil er in ihm den Mörder seiner Mutter sah. Kommen dem Küchengehilfen flashbackartig Bilder der Tat wieder vor Augen – die er seinerzeit indirekt miterleben musste – dann werden die Zwiebeln, die er schneiden muss, blutig.

Nuanciert gezeichnet ist insbesondere die Hauptfigur der Polizistin June Lenker, die zwischen allen Stühlen sitzt. In der schwarzen Community sieht man sie als Vertreterin des Establishments nicht gerne: Coconut – außen braun, innen weiß – steht in fetten Lettern auf ihrem Auto. Ein weißer Kollege bezeichnet sie despektierlich als »Meghan Markle«. Die Serie rückt schwarz-weiße Paare in den Fokus und verschließt nie die Augen davor, wie es hinter den Kulissen rumort. Auch das macht den flott inszenierten Achtteiler sehenswert.

OV-Trailer

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