Buch-Tipp: Daniel Kehlamm – Lichtspiel
Daniel Kehlmanns Romane beschäftigen sich mit genieverdächtigen, an der Wirklichkeit scheiternden Männern. Ihn interessiert, wie sich seine, der Kultur- und Wissenschaftsgeschichte entlehnten Antihelden in Parallelwelten verlieren und vor den realen Mächten ihrer Epoche versagen.
Man spürt in den Geschichten über absurde Selbsttäuschungen und Obsessionen die Faszination des Schriftstellers für das Kino. Auch Kehlmann stellt die Gewissheit infrage, wo die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Phantasma verlaufen. Der Sohn eines deutsch-österreichischen Film- und Theaterregisseurs schreibt gelegentlich selbst Drehbücher und Essays über Filmgrößen wie Luis Buñuel, dessen surreale Doppelbödigkeit ihn inspiriert.
Es lag nahe, sich mit einem Hochbegabten auseinanderzusetzen, dessen absolute Leidenschaft für die Filmkunst die abgründigen Seiten seiner Versponnenheit ignoriert. In »Lichtspiel« nimmt sich Daniel Kehlmann eine charakteristische Lebensphase des ikonischen Stumm- und frühen Tonfilmregisseurs Georg Wilhelm Pabst vor.
Der Großkünstler blickt Mitte der dreißiger Jahre auf ein bahnbrechendes Werk zurück. »Freudlose Gasse« ebnete Greta Garbo den Weg nach Hollywood, in Die Büchse der Pandora inszenierte er Louise Brooks als neusachliche Femme fatale, in »Die Liebe der Jeanne Ney« entfaltete er die Zauberkraft blickleitender Kamerafahrten, Leni Riefenstahl brachte er in »Die weiße Hölle vom Piz Palü« das Filmhandwerk bei. Pabst gilt als Meister subtiler tiefenpsychologischer Offenbarungen, wird aber durch Filme wie »Die Dreigroschenoper« und »Westfront 1918« der kulturpolitischen Linken zugerechnet. Während der Machtübernahme der Nazis am Set eines französischen Films, geht er 1934 mit seiner Familie in die USA.
In lakonisch gerafften Ellipsen schildert Kehlmann den dicklichen Herrn aus Wien im schwülen Hollywood. Ohne Sprachkenntnis und gute Kontakte bekommt er in der Partywelt der Filmbosse keinen Fuß auf die Erde. Man verwechselt ihn mit dem Schöpfer von »Metropolis« und drängt ihm das ungeliebte Projekt »A Modern Hero« auf, das als Kassengift jede weitere Chance zunichtemacht. Greta Garbo und seine Amour fou Louise Brooks helfen nicht. Pabst kehrt nach Frankreich zurück, will 1938 doch wieder in die USA, ist aber nach Kriegsbeginn gezwungen, in sein Haus im großdeutschen Österreich zurückzukehren. Von Goebbels perfide genötigt, aber auch autistisch verstrickt in die Illusion, »reine« Filmkunst zu schaffen, lässt er sich auf die Indienstnahme durch die Nazis ein. Weder der nazistische Terror seines Hauswirtschafters noch die wachsende Hitlerbegeisterung seines Sohnes und der Verlust der Liebe seiner kritischen Frau halten die Pabst-Figur dieser finster treffenden Posse davon ab, in den letzten Kriegswirren unbedingt noch ein Meisterwerk vollenden zu wollen. »Der Fall Molander« ist seither verschwunden. Daniel Kehlmann hat eine grotesk-amüsante Erklärung dafür gefunden.
Daniel Kehlmann: Lichtspiel. Rowohlt, Hamburg 2023. 478 S., 26 €.
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