Berlinale: Es brennt – was tun?
»Irgendwas stimmt nicht.« Der erste Satz, der in Christian Petzolds »Roter Himmel« gesprochen wird, bezieht sich zwar nur auf ein Auto, das gleich dampfend am Straßenrand liegenbleiben wird. Aber die Worte haben einen ominösen Beiklang. In dem am Mittwochabend auf der Berlinale gezeigten Film sind zwei junge Männer, Leon und Felix, auf dem Weg zu einem Ferienhaus an der Ostsee; sie wollen hier arbeiten.
Leon fummelt unglücklich an seinem zweiten Roman, er wird von Selbstzweifeln geplagt und kann keine Störung vertragen: nicht die kleinen Pannen und die Mücken in der Nacht, nicht den Freizeitdrang seines Freundes, der lieber schwimmen geht, als sich mit seiner Kunstmappe zu beschäftigen, nicht die unvorhergesehene Anwesenheit einer aufgeräumten Mitbewohnerin und ihres Gelegenheitsliebhabers.
Und schon gar nicht interessiert Leon sich für die Waldbrände, die in der Region wüten – komfortable 30 Kilometer entfernt, der Wind, der vom Meer her weht, wird es schon richten. Als Grantler und Spielverderber – großartig gespielt von Thomas Schubert – steht dieser junge Intellektuelle im Zentrum eines sonnendurchglühten Films, der über weite Strecken wie eine sanfte, schön orchestrierte Liebeskomödie funktioniert. Bis Petzold seinem unleidlichen Helden und dem Zuschauer ein verbranntes, sterbendes kleines Wildschwein vor die Füße wirft.
Wie lebt es sich am Rand der Katastrophe? Was bedeuten berufliche oder libidinöse Probleme, wenn gerade die Welt zusammenbricht? Wie sich heute verhalten im saturierten Westen, wo der Abstand zu Krieg, Armut, Elend nicht mehr so komfortabel ist, wie er es vor zwanzig Jahren war? Das sind nicht nur Fragen, die Petzold in »Roter Himmel« umtreiben, dem vorletzten der fünf deutschen Wettbewerbsbeiträge. Es ist auch eine Hypothek, die in diesem Jahr die notorisch chaotische Berlinale besonders belastet.
Da kann es sein, dass ein Star eine beflissen aktuelle Produktion – die Ukraine! die Invasion! – komplett in den Sand setzt: Sean Penn in seiner Selenskyj-Hommage »Superpower«, die weniger vom ukrainischen Präsidenten handelt als von Sean Penn und seinen zwanzig verschiedenen Arten, die Stirn in Falten zu legen. Kurz danach läuft ein Film, der sich vorbehaltlos unter die Menschen mischt, die in der Ukraine kämpfen und sterben: Die passagenweise höllisch direkte Dokumentation »Shidniy Front« (Eastern Front) von Vitaly Mansky und Yevhen Titarenko folgt sechs Monate lang einer Gruppe von Freunden, die als Rettungssanitäter Verwundete bergen.
Christian Petzold positioniert sich in diesem Gefüge mit »Roter Himmel« sehr elegant. Der prominente Vertreter der Berliner Schule und Regiepreisgewinner von 2012 (»Barbara«) hat hier etwas von seinem »enigmatischen Realismus« geopfert – »Roter Himmel« dürfte einer seiner zugänglichsten Filme sein. Und diese Strategie ist konsequent: Wenige drastische Bilder vom flammenden Wald genügen, um zu zeigen, dass der Weg des Helden und vielleicht auch des Fanpublikums hinausführen muss aus der Blase des urbanen, irgendwie grünen, irgendwie »aufgeklärten« intellektuellen Mittelstandsmilieus.
Ganz anders Angela Schanelec, ebenfalls Repräsentantin der Berliner Schule, ebenfalls mit dem Regie-Bären ausgezeichnet (2019, »Ich war zuhause, aber…«). Schanelec dreht Filme für sehr, sehr kleines Publikum – auf Festivals und von der Kritik wird ihr »reines« Kino geliebt. In »Music« treibt sie Abstraktion und Anspielungswut auf die Spitze – der Film müsste eigentlich mit Beipackzettel geliefert werden.
Wie Schanelec hier den Ödipus-Mythos zerlegt und neu zusammensetzt, ist schwer zu verstehen, wenn man die Basics nicht parat hat – dass da ein Baby wegen einer schrecklichen Prophezeiung ausgesetzt wird und gerade darum die Vorhersage sich erfüllt, dass der erwachsene Ödipus den Vater tötet, den er nicht gekannt hat, dass er die Mutter heiratet und sich selbst blendet, als er der Tat gewahr wird.
Schanelec arrangiert diese Motive in einer vagen Gegenwart, zwischen einer archaischen griechischen Küstenlandschaft und Berlin, mit einer virtuosen Musikdramatik und gezielten Irritationen – die Frau, die die Mutter sein müsste, ist eigentlich zu jung, die Blindheit materialisiert sich als Hipster-Brille mit schweren Gläsern, Nebenfiguren arrangieren sich zum griechischen Chor.
Das erzeugt oft verführerische, sinnliche Tableaus und lädt zum Entschlüsseln ein, hat aber etwas Formelhaftes. Denn das sprunghafte Erzählen, die Art, ein Bild stehen zu lassen, wenn die Figuren bereits hinausgetreten sind, die extreme Länge der Einstellungen, das somnambule Schauspiel und die Betonung sonst bewusstloser Alltagshandlungen: das alles sind seit Jahrzehnten geübte formale Mittel des Kunstkinos.
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