Kritik zu Lars Eidinger – Sein oder nicht sein
Reiner Holzemer räumt dem Schauspieler den Raum ein, den dieser zur Selbstdarstellung braucht und gibt auf diese Weise tiefe Einblicke in dessen Handwerk
Relativ zu Beginn von Reiner Holzemers Dokumentation gibt es eine Szene, die auf irritierende und erhellende Weise die Essenz des gesamten Films in sich zu tragen scheint. Der gefeierte und immer wieder auch angefeindete Schauspieler sitzt in einer Limousine und gibt während der Fahrt Telefoninterviews. Die kurzen Ausschnitte aus diesen wahrscheinlich längeren Gesprächen kreisen jedes Mal um Eidingers Wunsch, verstanden und damit letztlich auch geliebt zu werden, und um die Verletzungen, die negative Kritiken bei ihm hinterlassen.
Schon in diesen kurzen Momenten auf der Autobahn irgendwo zwischen München und Salzburg, wo Lars Eidinger im Sommer 2021 die Titelrolle in Michael Sturmingers »Jedermann«-Inszenierung probt, kann es kaum einen Zweifel daran geben, dass hier ein ohne Frage außergewöhnlicher Schauspieler an seinem eigenen Mythos arbeitet. Ebenso unstrittig ist zu diesem frühen Zeitpunkt auch, dass ihm Regisseur Reiner Holzemer dabei nicht im Weg stehen wird. Holzemer verschafft Eidinger mit seiner Kamera vielmehr den Freiraum, den er für seine Selbstinszenierung braucht. Das geht sogar so weit, dass Holzemer fast immer sein linkes Profil filmt, ganz so, wie es sich der Schauspieler selbst wünscht.
Das klingt nach eitler Selbstbespiegelung, und in gewisser Weise ist der Film genau das. Aber, und das macht ihn zu einem faszinierenden Dokument, zu dieser Selbstinszenierung des Schauspielers gehört auch eine absolut schonungslose Offenheit. Es geht ihm eben nicht darum, sich immer nur von seiner besten Seite zu präsentieren, auch wenn Holzemer sie, also Eidingers linke Gesichtshälfte, immer wieder ins Bild rückt. Eidingers Sehnsucht ist radikale Ehrlichkeit, und die zeigt sich schon in den kurzen Ausschnitten aus den Telefoninterviews während der Fahrt nach Salzburg. Wenn er über die Macht der Medien spricht, ihn zu treffen und zu verletzen, dann spiegelt sich in diesem Lamento seine Verletzlichkeit und mit ihr das zentrale Element seines Spiels auf der Bühne oder vor der Kamera. Denn genau diese Sensibilität, diese Bereitschaft, sich zu öffnen und dabei verletzt oder zumindest zutiefst angerührt zu werden, prägen all seine Theater- und Filmrollen.
Im Zuge dieser kategorischen Ehrlichkeit hat Lars Eidinger dem Dokumentarfilmer Reiner Holzemer ermöglicht, ihn bei den Proben zum Salzburger »Jedermann« und bei Wiederaufführungsproben zu zwei zentralen Schaubühnen-Produktionen, Thomas Ostermeiers Shakespeare-Inszenierungen »Hamlet« und »Richard III.«, zu begleiten. So wird dieses von bewundernden Interviews mit Schauspielerinnen wie Juliette Binoche, Isabelle Huppert und Angela Winkler flankierte Porträt zu einem wirklich einzigartigen Einblick in die »Werkstatt« Eidingers. Mitzuerleben, wie sich Eidinger seine Rollen aneignet, wie er in sich hineinhört und dann aus sich herausbricht, wie er seine Mitspielerinnen und Mitspieler in seine (Gedanken-)Welt hineinzieht und dennoch immer offen für ihre Regungen und Reaktionen bleibt, hat schon etwas von einer Offenbarung.
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