Kritik zu Sibirisch für Anfänger
Weites Land, scheinbar weit weg: Stepan Burnashev und Dmitry Davydov erzählen in ihrem Episodenfilm vom Leben in Jakutien, wo es zwischen-menschlich gesehen nicht so viel anders zugeht als hier
Von hier aus gesehen ist Jakutien ziemlich weit weg; in Spanien würde man sagen, es liegt am fünften Arsch der Welt. Im vorliegenden Fall ist derselbe im Westen auch unter dem Namen Sibirien bekannt; und auch wenn das natürlich eigentlich zu undifferenziert ist, bleibt es jetzt mal so stehen, weil es schließlich nicht um Geografie geht, sondern um Film. Weiterhin ist Jakutien ziemlich groß, fast so groß wie Indien nämlich, nur eben wesentlich dünner besiedelt: Durchschnittlich kommt auf drei Quadratkilometer ein Einwohner. Die Hauptstadt von Jakutien, die zugleich die einzige Großstadt ist, heißt der Einfachheit halber Jakutsk. Der Episodenfilm »Sibirisch für Anfänger« ist aber nicht in einer Stadt angesiedelt, sondern irgendwo in der Tundra, JWD, wie man wiederum in Berlin sagen würde, also »janz weit draußen«.
Sieben tragikomische Geschichten in lakonischer Tonlage setzen Stepan Burnashev und Dmitry Davydov, die den Film auch geschrieben und produziert haben, dort in Szene, sozusagen für jeden Tag in der Woche eine, doch so etwas wie Sonntagsfrieden will sich in keiner von diesen einstellen. Da streiten zum Beispiel Nachbarsleute wegen des Plumpsklos, das der eine direkt neben dem Gemüsebeet des anderen auszuheben beginnt; dann wieder gerät ein Ehepaar in Zwist über die Frage, wer bei der Gemeindewahl die Stimme bekommen soll, und straft sich gegenseitig mit Missachtung; und schließlich machen einander zwei Jäger, die gleichzeitig auf dieselbe Ente geschossen haben, die Beute streitig, was ohne viel Vorgeplänkel in eine erbitterte Prügelei mündet.
Denn so kalt es in Jakutien auch werden mag, so hitzköpfig sind die Einheimischen, so heißblütig ist ihr Temperament. Und wenn nicht gerade Sommer ist, der Permafrostboden auftaut, die Mückenpopulationen explodieren und sich die Schlaglochpisten, entlang derer die Holzhäuser mit ihren bunten Dächern stehen, in Schlammbahnen verwandeln, dann ist es bitterkalt und man muss sich wärmen, am besten von innen und bevorzugt mit Wodka. Das bleibt nicht ohne Folgen, denn Alkohol führt bekanntermaßen zu Enthemmung, und nicht selten geschieht im Rausch, was nüchtern tief bereut wird und/oder schwer gebüßt werden muss. Was uns zu den beiden zentralen Themen von »Sibirisch für Anfänger« bringt: Suff und Gewalt. Meisterlich motivisch verdichtet in jener Miniatur, die die Mittelachse des Films bildet und in der ein Dorfvorsteher sich todesmutig in ein bereits eskaliertes Verlobungsgelage begibt. Er zwingt den Übeltäter, der seine Verwandtschaft mit blindwütigem Gewehrgefuchtel in Angst und Schrecken versetzt, mittels zahlloser Trinksprüche zum Komasaufen. Schon ist der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben, das Problem gelöst.
Der tiefe Seufzer, der sich der Brust des Vorstehers am Ende entringt, ist nicht nur nachvollziehbar und einleuchtend; er ist auch als Kommentar der Filmemacher zu verstehen, und gern seufzen wir mit. Jakutien mag geografisch weit weg sein, aber das, womit die Leute dort einander das Leben schwermachen, ist nur allzu bekannt.
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