Berühmt ist nicht genug
Biografien bedeutender Menschen gehören zu den beliebtesten Filmstoffen. Warum eigentlich?
Ich habe größten Respekt vor den Lebensleistungen von Ray Charles, Yves Saint Laurent und Jackson Pollock, ganz zu schweigen von Gandhi oder Mandela. Und wo wären wir heute, wenn Robert Koch das Tuberkel nicht gefunden hätte? Das soll alles für die Nachwelt notiert werden: in Büchern und Wikis und Dokus. Aber bitte nicht im Spielfilm.
Anders, als man denken könnte, ist es nämlich ganz schön schwer, Sternstunden der Menschheit in Sternstunden des Kinos zu verwandeln. Dichter und Denker sehen nicht unbedingt interessant aus, wenn sie dichten und denken. Das wahre Leben, selbst das von Reformatoren und Imperatoren, kopiert oft nur eine schlechte Seifenoper, wie Woody Allen meint. Und es konnte echt niemand vorhersehen, dass aus dem Knaben Ernst Thälmann irgendwann der »Führer seiner Klasse« werden würde. Das meiste von dem, was berühmten Leuten passiert, könnte auch uns Unbegabten zustoßen: verständnislose Eltern, Unfälle, Beziehungkrisen. Aber echte »biografische Filme«, Dramatisierungen von Lebensgeschichten, sind genau mit diesen Sachen vollgestopft; im Biopic kreißen sie und gebären. Berufung! Bedeutung! Wege zum Ruhm! Nobelpreise, Oscars, Nr.- 1-Hits.
Paul Muni ist aber nicht als Louis Pasteur im Gedächtnis geblieben, John Wayne nicht als Dschings Khan. Abraham Lincoln, The Spirit of St. Louis und Hammett sind nicht die Filme, mit denen man die Namen Griffith, Wilder und Wenders gerne verbindet. Und nur wenige, wie Oliver Stone und Steven Soderbergh, haben es so oft mit Bios versucht, dass mal ein Treffer dabei sein musste. Am Ende sind Biopics nur dann gut, wenn es keine mehr sind. Wenn ein konkretes Boxerleben sich in Schnittgewittern auflöst (Raging Bull) oder ein weißer Angorapullover ein dubioses Werk überstrahlt (Ed Wood). Es ist auch kein Zufall, dass Abel Gances Napoleon als Fragment gilt. Gance hat aber ein Sequel gedreht: der Kaiser vor Austerlitz. Und ich schwöre: Die Katze unseres Nachbarn führt ein interessanteres Leben.
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