Reporter im deutschen Film: Lüge und Wahrheit
»Tausend Zeilen« (2022). © UFA Fiction GmbH / Warner Bros. Entertainment GmbH / Marco Nagel
Journalisten im deutschen Film – das scheinen nur selten vertrauenswürdige Vertreter ihrer Zunft zu sein. Häufig geht es um Skandale, in Michael Herbigs neuer Satire »Tausend Zeilen« etwa um den Fall Relotius. Doch schaut man ein wenig genauer hin, gibt es dann doch eine erstaunliche Bandbreite an Reporterpersönlichkeiten, von stillen Kämpfern für die Wahrheit bis hin zu schillernden Abenteurern. Eine kleine Typologie von Patrick Seyboth
Bereits 1919 schrieb Max Weber über den Journalisten in Deutschland, er gehöre »zu einer Art von Pariakaste, die in der ›Gesellschaft‹ stets nach ihren ethisch tiefststehenden Repräsentanten sozial eingeschätzt wird«. Die jährliche Umfrage des Deutschen Beamtenbunds nach den angesehensten Berufen scheint Weber Jahr um Jahr zu bestätigen. In der im Juli 2022 veröffentlichten jüngsten Rangfolge stehen Journalist*innen auf Platz 22 von 31 – immerhin noch vor Steuerbeamt*innen und Mitarbeiter*innen von Telefongesellschaften.
Nicht erst seit »Lügenpresse«-Schreihälsen, seit dem links wie rechts beliebten Generalverdacht gegen die »Mainstream-Medien« wird der journalistischen Arbeit hierzulande eine grundlegende Skepsis entgegengebracht. Gilt die »vierte Gewalt« im Staat als Gradmesser wie Garant für Demokratie und Rechtsstaat, scheint gerade sie anfällig für Manipulation, Korruption, Opportunismus und politisches Geklüngel. So bleiben vor allem Tiefpunkte und Skandale im kollektiven Gedächtnis haften: Hitler-Tagebücher, Gladbeck, Tom Kummer, Claas Relotius . . .
Spiegelt der deutsche Film diese Wahrnehmung? Jedenfalls sind die Heldengeschichten, wie Hollywood sie oft erzählt, hier schwer vorstellbar. Filme wie jener größte aller Journalistenklassiker, »Die Unbestechlichen« über die Watergate-Aufklärer Bob Woodward und Carl Bernstein, oder auch in jüngerer Zeit »Spotlight« oder »State of Play« sind dabei nur die eine Seite des Spektrums, spätestens seit »Citizen Kane« setzt sich der US-amerikanische Film immer wieder erstaunlich differenziert und auf kritische Weise mit den Medien auseinander. Und kann es Zufall sein, dass hinter Superman, dem Superhelden schlechthin, ausgerechnet der Reporter Clark Kent steckt?
Im Gegensatz dazu ist der einzige »große« deutsche Film, der dezidiert von Journalismus handelt, Helmut Dietls brillante, bitterböse Satire »Schtonk!« um den Fälscher Konrad Kujau (im Film: Fritz Knobel), den »Stern«-Reporter Gerd Heidemann (Hermann Willié) und jene kruden Fälschungen, deren Karriere als original Hitler-Tagebücher alles andere als glaubwürdig wäre – wäre sie nicht Fakt. Denn Dietl hat sich bis in krudeste Details an die realen Ereignisse von 1983 gehalten. Jener Hermann Williè, wie Götz George ihn elektrisierend darstellt, ein windiger, eitler und stets hypernervöser Typ mit Faible für vergangenen Nazi-Glamour, ist eine Extremfigur der deutschen Filmgeschichte – aber kein ungewöhnliches Extrem für die Darstellung von Journalisten. Polarisierung und jede Menge Klischees und Stereotypen prägen diese Filmfiguren – die darüber hinaus und durch die ganze deutsche Filmgeschichte fast immer Männer sind.
Mit »Schtonk!« – sowie der Neuverfilmung des gleichen Skandals als Serie unter dem Titel »Faking Hitler« – wären wir also bei der ersten Kategorie unserer kleinen Typenkunde: den Hallodris und Halunken. Sie sind die oft klischeehaft schmierigen Reporter zwischen halbseiden und kriminell, jedenfalls mit schwach ausgeprägtem Berufsethos. Da wäre etwa der von Hape Kerkeling ersonnene dümmlich daherredende und stets ungepflegt wirkende Lokalreporter Horst Schlämmer aus Grevenbroich, der in »Isch kandidiere« aus dem Bundestags-Wahljahr 2009 seine Kenntnis von Volksmund und Volkszorn in populistische Politik verwandeln will. Erschütternd realistisch dagegen rekonstruiert Kilian Riedhof in seinem TV-Zweiteiler »Gladbeck« (2018) den Ablauf des Geiseldramas im Jahr 1988 und beleuchtet nicht nur das Totalversagen der Polizei, sondern auch die skandalöse Rolle zahlreicher Reporter vor Ort, die im Willen, immer ganz nah am Geschehen zu sein, den Geiselnehmern eine Bühne für ihre Selbstinszenierung bereiteten. Nur einer von vielen Tiefpunkten: jener Moment, als die Geisel Silke Bischoff von einem Journalisten gefragt wird: »Wie geht es Ihnen mit der Pistole am Hals?« Wie nah der Film an den historischen Fakten ist, belegt der Vergleich mit Volker Heises erst kürzlich auf Netflix veröffentlichtem, ausschließlich aus Archivmaterial montiertem Dokumentarfilm »Gladbeck – Das Geiseldrama«. Beide Filme sind Lehrstücke über mediale Sensationsgier – zwingen den Betrachter aber auch, die eigene Schaulust als Teil des Problems zu reflektieren.
Die Grenzen vom moralisch zweifelhaften Sensationsjäger zum blanken Zyniker sind fließend: Idealtypisch wird letzterer verkörpert von Klaus Kinski in Manfred Purzers Thriller »Das Netz« (1975), der stark von italienischem Genrekino beeinflusst ist. Als ziemlich kinskihafter Boulevardreporter Emilio Bossi braust Kinski da mit seinem Sportwagen (beliebtes Boulevardreportervehikel!) durch Rom und legt eine ähnlich zappelige Energie an den Tag wie Götz George in »Schtonk!«, ist jedoch wesentlich siegessicherer. Immerhin überführt er einen psychopathischen Mörder (Mel Ferrer), statt ihn aber an die Polizei auszuliefern, bringt er ihn dazu, seine Mörder-Memoiren an seine Illustrierte zu verkaufen. Es gibt allerdings noch eine Steigerung von Zynismus hin zur Verkörperung des reinen Bösen: den im Porsche umherfahrenden Reporter Tötges, unterwegs für »Die Zeitung« – mit der natürlich die »Bild«-Zeitung gemeint ist – in »Die verlorene Ehre der Katharina Blum«. Ebenfalls 1975 gedreht, spiegelt Volker Schlöndorffs und Margarethe von Trottas Böll-Verfilmung in Form eines filmischen Pamphlets die RAF-Paranoia jener Jahre in der BRD samt rigoroser Terroristen- und »Sympathisanten«-Hatz. Angela Winkler als unschuldige Katharina Blum gerät da wegen einer Nacht mit einem »Anarchisten« ins Visier der Behörden, und Polizei und Presse arbeiten ganz selbstverständlich Hand in Hand. Für beide steht die Wahrheit längst fest: Blum ist auch eine Terroristin. »Die Zeitung«-Reporter Tötges, von Dieter Laser wahrhaft teuflisch gespielt, verzerrt und verdreht nicht nur völlig gewissenlos Fakten und vermischt sie mit Spekulation und purer Fantasie, er schleicht sich sogar als Arzt verkleidet auf die Intensivstation und ans Krankenbett von Blums schwerkranker Mutter, um ihr einige Worte abzupressen, die er später sowieso nur wieder verdreht. Die Mutter stirbt. Doch Tötges empfängt seine gerechte Strafe: Blum lädt ihn zum Interview zu sich ein, und als er davon faselt, dass er sie respektiere und sie nun ganz groß rausbringen werde, dann auch noch vorschlägt, »dass wir erst mal ein bisschen bumsen«, erschießt Katharina Blum ihn. Trotz aller Schwarz-Weiß-Malerei des Films, die heute nur noch schwer nachvollziehbar ist: Er zeichnet ein dank Angela Winklers Spiel sehr eindringliches Bild davon, wie schnell eine Existenz unter dem Druck einer medialen Hetzjagd zerbrechen kann.
Es gibt Gegenbilder zur hässlichen Fratze der Sensationspresse: Es gibt auch die ganz unspektakulären, gewissenhaften Medienarbeiter, die einfach nur einen ordentlichen Job machen wollen und die ehernen Grundsätze journalistischer Praxis für keine reißerische Story oder politische Agenda über den Haufen werfen. Einige Dokumentarfilme der vergangenen Jahre boten da beispielsweise faszinierende Einblicke, vom Investigativjournalismus in »Hinter den Schlagzeilen« bis hin zu Lokalreportern in »Die letzten Reporter«. Doch je alltäglicher die Arbeit, desto weniger scheint das Journalistenleben für Spielfilme zu taugen, denn genaue, geduldige Recherche und das Feilen an einem präzisen Text lassen sich schwer in starke Bilder übersetzen.
So vermittelt sich etwa die berufliche Tätigkeit von Hansjörg Felmy als Hans Boeckel in »Wir Wunderkinder« (1958) von Kurt Hoffmann nur en passant. Der satirische Ritt durch die erste Hälfte des deutschen 20. Jahrhunderts zeigt den sympathischen Skeptiker Boeckel kaum in seinem Job als Redakteur – bis die Nazis 1933 die Zeitung übernehmen und er sich standhaft wehrt, nun als »Arbeiter der Stirn« im Sinne der angesagten Ideologie zu wirken – mit dem Ergebnis, dass er entlassen wird. Ein erstaunlich glamouröser Alltag ist dagegen 1986 in der Serie »Kir Royal« zu bestaunen, wiederum vom feinsinnigen Satiriker Helmut Dietl: Zwischen dem Champagner-Frühstück im Bett und einem nächtlichen Tanz auf dem Tisch im Restaurant »Champs Élysées« entscheidet Baby Schimmerlos (Franz Xaver Kroetz), einflussreicher Münchner Klatschreporter und selbst ein Star der Bussi-Bussi-Gesellschaft, wer »reinkommt«, denn »wer reinkommt, ist drin!« Dabei hat Schimmerlos, der sich selbst wohl als Edelfeder betrachtet, durchaus journalistische Prinzipien, doch natürlich haben auch die ihre Grenzen, vor allem an der eigenen Eitelkeit.
Der krasse Gegensatz zu dieser Welt ist das enge, stickige, nach Öl, Schweiß und vergammelten Vorräten riechende U-Boot im Kriegsfilm »Das Boot«. Ja, auch in Wolfgang Petersens Welterfolg nach Lothar Günther Buchheim ist genau genommen ein Journalist die Hauptfigur, der von Herbert Grönemeyer verkörperte Marine-Kriegsberichterstatter Leutnant Werner. Gemeinsam mit diesem »Frischling« geht man als Betrachter an Bord von U 96, und aus seiner Perspektive sind die dramatischen Erlebnisse auf See geschildert. Er bleibt als Figur dabei passiver Beobachter und wird kaum in Ausübung seiner Aufgabe gezeigt. Zugleich zeigt sich aber an ihm, warum Journalisten eben doch ziemlich ideale Filmfiguren sind: Quasi als »Avatar« des Zuschauers bieten diese berufsbedingt Neugierigen einen direkten Zugang zu verschiedensten Sujets. Mit ihren Augen kann man fremde Welten erkunden – sei es der Krieg im Atlantik oder das Intrigenspiel hoher Politik. Als Identifikationsfiguren eignen sie sich quer durch die Genres – . . . wenn sie nicht gerade so dummdreist auftreten wie der Straßenreporter in der Rahmenhandlung des »Schulmädchen-Report«, dessen unbedarfte »Umfrage« nur als Vorwand für die episodischen Schlüpfrigkeiten der Haupthandlung dient.
Ein Typus, der ziemlich aus der Mode gekommen ist, jedoch in den ersten Jahrzehnten der Filmgeschichte höchst beliebt war, ist der Reporter als Abenteurer. In »Das Abenteuer eines Journalisten« von Sensationsfilmer Harry Piel aus dem Jahr 1914 etwa turnt der rasende Reporter bei der Verfolgung von Gangstern an der Wuppertaler Schwebebahn herum. Und auch Hans Albers in »Hans in allen Gassen« aus dem Jahr 1930 ist ein Draufgänger, der sich in der rasanten Krimihandlung an mondänen Schauplätzen tummelt und sich genussvoll in amouröse Verwicklungen stürzt. In Wien startete der Film sogar unter dem Titel »Der Liebesreporter«. Als Kamerareporter für die Wochenschau, »Spezialist für Naturkatastrophen, Kriege, Epidemien, Heuschreckenschwärme und so weiter, und so weiter« ist Hans Söhnker in »Auf Wiedersehn, Franziska« unterwegs. Helmut Käutners feinfühlig erzähltes Melodram von 1941 porträtiert den Reporter Michael als überzeugten Abenteurer, der zunächst trotz seiner Liebe zu Franziska (Marianne Hoppe) und deren Leidens unter seinen langen Abwesenheiten nicht loslassen will von seiner Leidenschaft fürs Extreme. »Es ist doch das einzige Leben, das sich lohnt: immer dabei zu sein, wo Dinge, Menschen, Begriffe sich auflösen und aus den Fugen gehen.« Verstörende Ironie: Nach Michaels Sinneswandel und Entschluss, endlich bei Franziska und den mittlerweile zwei Kindern zu bleiben, beginnt der Krieg, und Michael muss doch wieder fort, diesmal als Soldat. Das ursprüngliche Filmende, wie es Käutner – nach eigener Aussage – vom Propagandaministerium aufgezwungen wurde, macht das zu einem Happy End, denn endlich hat Michaels Fortgang einen Sinn! Er zieht ja für Deutschland in den Kampf, was natürlich auch Franziska einsieht.
Knallharte Propaganda und bis heute ein sogenannter »Vorbehaltsfilm«, der nicht ohne einordnenden Kommentar gezeigt werden darf, ist »Togger« von 1937 über die Chefredaktion einer Zeitung namens »Der neue Tag«. Hier kämpfen gute Journalisten gegen die Machenschaften eines mächtigen Konzerns, also gegen die »internationale Ausbeutung unseres Volks« – mit deutlich antisemitischer Stoßrichtung und einem Fackelumzug zum feierlichen Schluss. Das Jahr: 1933. Schlagzeile der Zeitung »Der Neue Tag«: »Der Weg ist frei«. So stellten sich die Nazis guten Journalismus vor.
Aber selbstverständlich gibt es auch im deutschen Film und jenseits von Propaganda den Journalisten als aufrichtigen Kämpfer für Wahrheit und Gerechtigkeit, als Aufklärer, der sich vielleicht nicht immer nur, oder nicht immer von Anfang an, aus purem Idealismus in schwierigen Recherchen festbeißt und sich mit Mächtigen anlegt. Im Nachkriegsklassiker »Nasser Asphalt« (1958) von Frank Wysbar ist Horst Buchholz ein junger, ehrgeiziger Reporter, der zunächst stolz ist, für den Pressezaren Cesar Boyd (Martin Held) zu arbeiten. Erst als er bemerkt, dass eine sensationelle Story über deutsche Soldaten, die in einem Bunker verschüttet jahrelang überlebt haben, von Boyd frei erfunden wurde, und dieser ihn benutzt hat, begehrt er gegen seinen Mentor auf und entlarvt ihn.
Der Gefahr, dass ein Filmreporter, der spektakulären Geschichten nachgeht, als Persönlichkeit etwas eindimensional bleibt, entgeht der mit aufklärerischem Impetus gedrehte Film »Der blinde Fleck« von 2013 leider nicht ganz, trotz eines Benno Fürmann in der Hauptrolle und des packenden authentischen Stoffs. Fürmann verkörpert in Daniel M. Harrichs Film den Hörfunkreporter – welch ungewöhnliche Spezies für einen Film – Ulrich Chaussy, der über Jahre hinweg die Hintergründe des verheerenden Oktoberfest-Attentats 1980 in München recherchierte und die Einzeltäterthese, an der die Behörden lange eisern und aus dubiosen Gründen festhielten, widerlegte. Etwas mehr menschliche Facetten kann Benno Fürmann im Fernsehfilm »Die vierte Gewalt« (2016) von Brigitte Maria Bertele ausloten, als engagierter, doch zuvorderst von persönlichen Motiven getriebener und stellenweise kaltherziger Typ. Einerseits liebevoller Vater, strebt der finanziell klamme einstige Auslandskorrespondent so sehr danach, aus der freien Mitarbeit in eine Festanstellung übernommen zu werden, dass er auch mit den Gefühlen einer Abgeordneten spielt, um einen Korruptionsfall im Gesundheitsministerium auf die Spur zu kommen. Man kann in »Die vierte Gewalt« trotz einiger der Thrillerkonstruktion geschuldeter Überspitztheiten so einiges lernen über Verflechtungen von Politik und Medien und die Gefährdung der Unabhängigkeit der Presse unter wachsendem materiellem Druck.
Ein weiterer TV-Thriller, »Gefährliche Wahrheit« von 2021, thematisiert anhand einer Lokalzeitung und eines Falls von tödlicher Brandstiftung mit politischem Hintergrund ebenfalls die Krise des klassischen Printjournalismus, darüber hinaus gibt er Einblicke in die Arbeit einer Redaktion. Noch auffälliger an diesem Film ist jedoch, dass nicht nur die Hauptfigur, Lisa Maria Potthoff als ehrgeizige wie gewissenhafte Printreporterin, sondern auch weitere wichtige Akteurinnen der Redaktion Frauen sind – so die von Almila Bagriacik gespielte stets auf knalligste Schlagzeilen bedachte Onlinekollegin und Ulrike Kriener als Chefredakteurin, die auf klassisches Handwerk und publizistischen Anstand pocht.
Immerhin eine interessante Frau als Praktikantin zur Seite hat Florian David Fitz in Christoph Hochhäuslers »Die Lügen der Sieger« (2014). Fitz gibt den schillernden Fabian Groys, erfolgreicher Reporter der Hauptstadtredaktion eines großen Nachrichtenmagazins, Lilith Stangenberg die ihm zugeteilte Praktikantin Nadja Koltes. Der Paranoia-Thriller über einen Bundeswehr- und einen Giftmüllskandal, die auf untergründige Weise zusammenhängen, spielt mit Bezügen zur Filmgeschichte und porträtiert den Reporter als abgebrühten, rastlosen Profi, der auch mal trickst, Spieler und Porschefahrer ist und eine Ratte als Haustier besitzt – einen »Macho-Arsch« nennt ihn Nadja. »Man ist nur so gut wie seine letzte Story«, ist sein Credo, und natürlich stolpert er um der nächsten guten Story willen in eine Sache, die er nicht durchschaut. Und er hat neben seiner Spielsucht eine für das Genre ungewöhnliche weitere verwundbare Stelle: Er ist Diabetiker.
Manchmal wird die Suche nach der Wahrheit für den Reporter aber auch zur Suche nach dem Sinn. Solche Sinnsucher finden wir etwa bei Rainer Werner Fassbinder in »Die Sehnsucht der Veronika Voss« (1982) – Hilmar Thate als frustrierter Sportreporter, der jetzt vor allem tieftraurige Gedichte in seine Schreibmaschine tippt, lässt sich da auf den nervlich kaputten ehemaligen Ufa-Star Voss ein. Sucht er Liebe? Sucht er eine Story? Auf die meisten Fragen antwortet er nur: »Ich weiß es nicht.« Orientierungslos sehen wir auch Bruno Ganz als Kriegsreporter durch das vom Bürgerkrieg zerrissene Beirut irren in Volker Schlöndorffs »Die Fälschung« von 1981. Angesichts von Gräueln, die in keine »Story« mehr zu fassen sind, verzweifelt er an seinem Beruf und an sich selbst.
Und dann gibt es da jetzt einen Film, der den gewissenhaften Wahrheitssucher und den aalglatten Schurken zusammenbringt, als Gegenspieler: Michael Herbig erzählt in seinem neuen Werk »Tausend Zeilen« den größten Medienskandal der vergangenen Jahre um den »Spiegel« und die in weiten Teilen erfundenen Reportagen von Claas Relotius als schwungvolle Satire nach. Dabei orientiert er sich am Buch von Juan Moreno, der Relotius auffliegen ließ, spitzt aber die Geschichte zu einer Art Duell zwischen Jonas Nay als Bogenius, wie er im Film heißt, und Elyas M'Barek als Romero zu. Ein Duell auf dem Feld des Journalismus: Der eine produziert Lügen, der andere versucht, sie aufzudecken. Neben allem Spaß ist der Film ein ernstzunehmendes Plädoyer für Fakten versus gefühlige Stories und »gefühlte Wahrheiten«. Und er zeigt vor allem: Guter Journalismus ist harte Arbeit.
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