Kritik zu Everything Will Change
Mit missionarischem Eifer und gestützt auf eine Fülle von Fakten erzählt Marten Persiel in seinem Science-Fiction-Roadmovie-Doku-Drama von der Rettung der Artenvielfalt
Dokumentationen, dramaturgisch spannend wie wirkungsvoll umgesetzt, gern mit fiktionalen Elementen, um die Attraktivität zu steigern, sind seit einigen Jahren schwer angesagt und durchaus ehrenvoll. Mal geht es um Frauenrechte, mal um die eigene Familiengeschichte oder auch um das Klima und die damit verbundene Zerstörung unserer Welt. Das ist unserer Zeit geschuldet, ebenso die Tendenz, das Gezeigte mit reichlich Fakten zu untermauern, um sich nicht angreifbar zu machen, die Bedeutung zu untermalen. Der deutsche Filmemacher Marten Persiel und seine Koautorin Aisha Prigann haben sich für ihr Science-Fiction-Roadmovie-Doku-Drama ein ausgeklügeltes Erzählkonzept ausgedacht, um auf das bedrohliche Artensterben aufmerksam zu machen – ein möglicherweise zu ausgeklügeltes.
Sie siedeln ihre Geschichte im Jahr 2054 an. Die drei Freunde Ben (Noah Saavedra), Cherry (Jessamine-Bliss Bell) und Fini (Paul G. Raymond) leben in einer sterilen, durchdigitalisierten Welt, Pflanzen und Tiere sind größtenteils ausgestorben. Eines Tages erfahren sie, dass die Welt einst sehr viel bunter, vielfältiger und vor allem lebendiger war. Den Ausschlag dafür gibt das Bild einer Giraffe, das die drei in Erstaunen versetzt. Doch kann man Bildern trauen, Bildern einer Welt, die aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden sind? Also machen sich die drei jungen Leute auf eine Reise in die Vergangenheit, umrahmt von einer märchenhaften Geschichte, von einer alten Märchentante erzählt und anhand eines altmodischen Buches in Kapitel aufgeteilt. Es tauchen Nachrichtenschlagzeilen auf, die schon in unserer Zeit auf die sich abzeichnende Katastrophe aufmerksam machten. Den Großteil aber nehmen Interviews mit realen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern oder schlicht Aktivistinnen und Aktivisten ein, die die aktuelle Lage erklären und beurteilen, darunter der Meteorologe und Ozeanograph Prof. Mojib Latif, der Filmemacher Wim Wenders, Philosophen, Biologen, Agraringenieure.
Inszenatorisch ist die Collage aus Fiktion und Fakten und dem Kontrast einer künstlichen, dystopischen Zukunft und der noch bunten Gegenwart nicht nur gewagt, sondern auch spannend. Auch der Ansatz, dass wir jetzt noch handeln können, ist angenehm positiv und hoffnungsvoll. Doch so recht will der fiktionale Rahmen nicht aufgehen. Dass die drei Protagonisten voller Leidenschaft Langspielplatten hören, wie selbstverständlich einen schon für heutige Maßstäbe alten Mercedes fahren, gleichzeitig aber noch nie eine Giraffe gesehen haben, ist schlicht unglaubwürdig. Der atmosphärische dichte Sound, die beeindruckenden Bilder, die hoffnungsfrohe Botschaft, dass es noch nicht zu spät ist, können allerdings nicht über die oberlehrerhaften Appelle »Checkt immer eure Quellen. Traut den Bildern nicht. Ihr seid die Letzten, die noch etwas tun können« hinwegtrösten. Beim Publikum unterschiedlicher Festivals hingegen kam der Film bereits gut an. Erst Mitte Juni erhielt er auf dem 32. Internationalen Filmfest Emden-Norderney die beste Publikumsbewertung, beim Max Ophüls Preis 2022 war er der Gewinner des Publikumspreises.
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